«Shoppen und zeigen, was man hat,ist das eine …»


Von Carolina Müller-Möhl

Kürzlich traf ich bei Sonnenschein und 28 Grad eine Bekannte auf der Bahnhofstrasse. Stolz zeigte sie mir ihre neusten Trouvaillen: ein Cashmere-Rollkragenpulli, eine Dreiviertelhose aus Tweed und ein Paar trendige Bikerboots. Nein, sie verbringt ihre Sommerferien nicht in der Antarktis, sondern reiste noch am gleichen Nachmittag ans Mittelmeer. Trotz 28 Grad lief es mir kalt den Rücken hinunter. Was mich schaudern liess, war die Tatsache, dass bereits im Juni fast ausschliesslich die neue Herbst-/Winter-Kollektion in den Regalen der Geschäfte angepriesen wird.

Das Phänomen ist ein altbekanntes. Nichtsdestotrotz lässt mich der Gedanke nicht los: Sollen wir das alles wirklich mitmachen? Und damit meine ich nicht nur, Wintermode im Hochsommer zu kaufen. Sondern vielmehr bezieht sich meine Frage auf den ganzen Modezirkus, dieses sich immer schneller drehende Karussell: Grosse Modekonzerne kaufen zunehmend kleine Marken auf. Hollywoodstars, Popstars, Prinzessinnen und It-Girls sind die neuen Modebotschafterinnen, die blind kopiert werden. Hobby-Fashionistas posieren mit ihren neusten, selbst gekauften Modeaccessoires auf Instagram und Facebook. Dass sie damit zu Gratiswerbeträgerinnen für die mächtigen Labels werden, scheint nicht zu interessieren.

Bei all diesen Entwicklungen frage ich mich, wo ist der kritische Konsument geblieben? Verstehen Sie mich richtig, auch ich habe Freude an Mode. Mode ist schliesslich nicht nur Gebrauchsgut, sie ist auch Teil unserer Kultur und Identität. Aber das heisst nicht, dass man jedem Schrei ohne nachzudenken folgt. Ein kritisches Konsumverhalten ist auch in Sachen Mode wichtig. Es kann nämlich Spass machen, sich ernsthaft und vertieft mit Mode zu beschäftigen. Im Netz diskutieren Kennerinnen in ihren Blogs über die aktuellsten Trends, philosophieren über Schnitte, besprechen Stoffmuster und ziehen historische Vergleiche. Gemäss einer Umfrage des Online-Magazins «Styleranking.de» stehen bei den Modeblogs alle Zeichen auf Professionalisierung. Es sind dann auch nur die Vollprofis, knappsechs Prozent aller Blogger in Deutschland, die pro Monat Umsätze zwischen 2000 und 5000 Euro verbuchen und so von ihren Aktivitäten leben können. Eine der wenigen, die wirklich weiss, wie man mit der richtigen Werbung, Kooperationen und vor allem mit Platzierungen von Links viel Geld verdient, ist Chiara Ferragni. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» führt die Italienerin als einzige Modebloggerin in seiner Hitliste der 30 erfolgreichsten unter 30-jährigen Unternehmerinnen im Bereich Mode auf. Ihr Blog zählt im Monat drei Millionen Seitenaufrufe. Man stelle sich vor, Ferragni würde auf ihrem Blog regelmäßig auch über philanthropisch agierende Modelabels schreiben oder diese Marken auf ihrer Seite verlinken. Das würde nicht nur ihr Drei-Millionen-Publikum beglücken, sondern auch das Schöne mit dem Guten verbinden. Dies tut etwa die Marke Toms. Sie hat mehr als 45 Millionen Schuhe an Kinder in Not gespendet. Toms ist mehr als nur eine Modemarke, es ist ein Social Business. Ebenso das kürzlich von den Zürcher Schwestern Martina Vondruska und Barbara Portaluri gegründete Label Brand of Sisters. Die Hälfte des Betrages der verkauften Kleider fliesst weltweit in Bildungs- und Empowermentprojekte von Mädchen und Frauen. Auch sie verbinden das Schöne mit dem Guten. Geradeso sind originelle Ideen zu Secondhand und Upcycling gefragt. Das deutsche Jungunternehmen Rebelle reagiert intelligent auf unsere Wegwerfgesellschaft: Die Online-Plattform ist Marktplatz für Secondhand-Designermode. Shoppen und zeigen, was man hat, ist das eine. Wichtiger aber ist ein kritisches Konsumverhalten, denn um es in den Worten des deutschen Buchautors Manfred Hinrich zu sagen: «Kleider machen Leute noch nicht zu Menschen.»

Erschienen in der September-Ausgabe des Schweizer Wirtschaftsmagazins für die Frau «Women in Business»