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Die Schweiz sollte sich besser um ihre Zukunft kümmern. Diese ist bereits geboren – und lebt mit ungleichen Chancen, schlecht betreut.

Die Schweiz war einst berühmt für ihr Bildungs system. Auch heute dürfen sich vor allem Berufsbildung und Hochschulen immer noch sehen lassen. Ganz anders aber sieht es bei den Schul- und Kleinkindern aus. Jüngst lehnten mehrere Kantone verschiedene Bildungsreformen ab. Das spektakuläre Scheitern des aargauischen Bildungsministers mit seinem «Kleeblatt »-Projekt wurde zu einem traurigen Symbol. Viele – vor allem ländliche – Gegenden der Schweiz haben Mühe, den Wandel der Schule zu akzeptieren. Sie verhindern so, dass die Schweiz als kluge und gut integrierte Gesellschaft in die Zukunft startet.

Während sich Reformer verheddern und Konservative der Schulstube nachträumen, nehmen die Probleme in Klassenzimmern und Familien zu. Das könnte sich rächen. Denn Gesellschaft und Berufswelt verändern sich weltweit rasant. Andere europäische Länder sind innovativ und passen sich den veränderten Rahmenbedingungen schneller an. Die Schweiz indes meint, ihre Zukunft verschlafen zu können. Bildungspolitik gilt als eine Domäne der kantonalen Parteien, Lehrerverbände, Behörden und Elternlobbys – statt dass sich auch Unternehmen, Wirtschaftsverbände und bildungsbewusste Bürger engagierten.

Besonders krass ist die Situation in der frühkindlichen Förderung. Die Koordinationskommission für Familienfragen des Bundes und die Schweizer Unesco-Kommission haben gezeigt, dass sich die Schweiz unzureichend um den jüngsten Nachwuchs kümmert. Dies wird sich noch während Jahrzehnten negativ auswirken. Die nordischen Länder belegen, wie eine gute frühkindliche Förderung sowohl die Chancengleichheit der Kinder erhöht als auch die erwünschte Steigerung der einheimischen Geburtenraten bewirkt.

40 Prozent der Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren sind zu Hause unbeaufsichtigt. Das Angebot an ausserfamiliärer Betreuung für die bis Vierjährigen ist zwar stark ausgebaut worden. Aber noch immer investieren wir lediglich 0,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes in Frühförderung. Das ist nur ein Drittel dessen, was Österreich investiert, und sogar nur ein Zehntel des Engagements von Dänemark.

Man wird zu Recht sagen: Bei Kindern geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität. Aber leider steht es gerade in dieser Hinsicht schlecht. Das hat eine Forschergruppe um die Freiburger Professorin Margrit Stamm gezeigt. Im internationalen Vergleich hinkt die Schweiz in Bezug auf die pädagogische Qualität und die Qualitätssicherung von Betreuungsangeboten deutlich hinterher. Dasselbe gilt für die Qualifi kation des Personals in den Krippen und Horten. Und für die Betreuung benachteiligter Kinder.

Was geht all dies Wirtschaft und Politik an? Kindererziehung ist doch Privatsache, heisst es. Wären unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert diesem Argument gefolgt, lebten wir heute in einem entvölkerten Entwicklungsland ohne Volks- und Berufsschulen. Selbstverständlich gilt es gerade bei Kindern und Familien, die Privatsphäre zu respektieren und elterliche Verantwortung zu erwarten. Tatsache aber ist, dass viele Kinder tagtäglich unbetreut sind oder dass sie zu wenig professionell umsorgt werden. Tatsache ist, dass das Bildungsund Sozialwesen trotz hohen Ausgaben schlecht koordiniert ist und dass benachteiligte Kinder schon in der ersten Klasse mit deutlichem Rückstand starten. Und Tatsache ist, dass die frühe Lebensphase entscheidend ist für ein späteres intaktes Sozial-, Gefühls- und Berufsleben. Wer hier investiert, vermeidet die spätere Explosion von Bildungs-, Sozial- und Kriminalitätskosten. Warum nur fehlt in der Schweiz die Einsicht dafür?

© 2009 «Bilanz»