Bildung

Digital – alles, immer überall?


Soziale Netzwerke sind nicht nur ein Segen. Umso wichtiger ist es, dass wir mit Facebook und Co. verantwortungsvoll umgehen.

Clay Shirky, Professor an der New York University, ruft die US-Regierung auf, den ­weltweit unzensierten Zugang zum Internet zu ­fördern. Cilja Harders, die Berliner Politologin, spricht von ­einer «Facebook-Revolution» im Nahen Osten. Und Evgeny Morozov, Blogger und Buchautor, zeichnet nach, wie der Kampf zwischen Unterdrückern und Unterdrückten heute digitalisiert ausgetragen wird. Social Media sind in aller Munde. Sie scheinen alles zu ermöglichen: Plötzlich können wir unabhängig von etablierten Medien kommunikative Reichweite aufbauen und politisches Engagement ausserhalb ­einer Partei entwickeln. Plötzlich ­können Menschenmassen innert kürzester Frist ­mobilisiert werden.

Der Medienwandel stellt uns vor neue Herausforderungen – und diese sind nicht auf das Lösen technischer Tücken beschränkt. Der französische Netzunternehmer Loïc Le Meur beispielsweise spricht von einem enormen Einfluss der neuen Medien auf unser Gehirn: Demnach sind wir immer weniger in der Lage, uns auf eine einzige Aufgabe zu konzentrieren. Während Vorlesungen halten wir uns via iPad unterm Tisch über journalistische Webportale auf dem Laufenden, wir twittern über das Gehörte und erhalten parallel dazu Kürzestbotschaften aufs Smartphone. Schweizer Internetnutzer tippen monatlich insgesamt 400 Millionen Fragen ins Fenster einer Suchmaschine – in 93 Prozent von Google. Die Unternehmenswerte sprechen für sich: Google soll inzwischen über 200 Milliarden Dollar wert sein, Facebook wird auf 60, Twitter auf 10 Milliarden Dollar geschätzt.

Die grösste Herausforderung stellt sich im Privaten und hier im Umgang der Kinder mit den neuen Technologien. Sie sind sich schon sehr früh ans mediale Multitasking gewöhnt. Nicholas Carr zitiert im Buch «The Shallows» zahlreiche Studien, die belegen, wie das Internet unser Denken beeinflusst: Unser Gehirn verändert sich, wir werden zu kursorischem ­Lesen, hastigem Überlegen und oberflächlichem Lernen verleitet. Das stellt auch unsere Schule vor neue Aufgaben. Sie muss nicht mehr lehren, wie wir Informationen beschaffen, sondern wie wir sie bewerten. Und sie muss an neuen Grenzziehungen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, zwischen Netz und Person, Kilobytes und Körper arbeiten. Wenn, wie Le Meur schreibt, unsere Körper nur noch Plattformen sind, ­deren Laufleistung und Essensgelüste durch Apps zu netzgerechten Daten aufbereitet werden, steht unsere Integrität zur Disposition.

Für Unternehmen liegen die Vorteile der Digitalisierung darin, dass sie einen schnellen und breiten Zugang zu Informationen erlaubt, dadurch Kommunikationskosten senkt und das Marketing dynamischer und individueller werden lässt. Doch was der US-Regierung geschehen ist, kann auch jede Firma treffen. Die Grenzen zwischen Privatem, Beruflichem und ­Öffentlichkeit sind von grösster Bedeutung. Diese Grenzen auszuloten, heisst, mehr Spielraum für Teambildung, Kreativität und soziales Engagement zu gewinnen. Sie zu ignorieren – oder dies von Mitarbeitern zu ­verlangen –, hiesse, verantwortungslos zu handeln. Digitale Kommuni­kation ist für immer gespeichert. Und deshalb wichtiger denn je.