Standortförderung

Discover Potentials


Das Thema des Swiss Economic Forum 2011 war der Anlass, ein ausführliches Gespräch mit Carolina Müller-Möhl zu führen.


Frau Müller-Möhl, das diesjährige Thema des Swiss Economic Forums (SEF) hat die Headline «Discover Potentials». Sie sind bei dieser Premium-Veranstaltung aktiv involviert. Wo sehen Sie als Unternehmerin und Verwaltungsrätin noch nicht ausgeschöpfte Potenziale in den Schweizer Unternehmen?


Wir haben in der Vergangenheit die Potenziale in der Schweiz bereits gut genutzt. Es herrschen hier auch Rahmenbedingungen, die es Unternehmern erlauben, erfolgreich zu sein, wenngleich die Regulierungsdichte zugenommen hat. Allerdings gibt es ein grosses Potenzial, und vielleicht können Sie sich vorstellen, was jetzt kommt, welches wir bis dato nicht ausgeschöpft haben: die Frauen. Ich möchte an dieser Stelle ein paar Zahlen für den Schweizer Markt nennen: Die Frauenanteile in Geschäftsleitungen (22 Prozent Frauen), Verwaltungsräten (zwölf Prozent Frauen) und in der Politik (im Ständerat 22 Prozent, im Nationalrat 30 Prozent) sind immer noch tief. Tatsache ist, dass über 50 Prozent der Weltbevölkerung und der Bevölkerung in der Schweiz weiblich ist. Auf dieses riesige Potenzial an Man- und damit Brainpower können wir nicht verzichten.

Des Weiteren möchte ich in diesem Zusammenhang auf das hohe Bildungsniveau der Schweizer Frauen hinweisen, 24 Prozent aller jungen Schweizerinnen – also fast jede vierte Frau – verfügen über einen Studienabschluss. Es mangelt also in der Schweiz nicht an qualifizierten, talentierten Frauen, die einen relevanten Beitrag zur Wirtschaft leisten können. Studien beweisen: Gemischte Teams verbessern die Performance des Unternehmens!

Erwiesen ist auch, dass Firmen mit besonders vielen Frauen in ihren Führungsgremien, verglichen mit Firmen, welche ausschliesslich von Männern geleitet werden, eine um 41 Prozent höhere Eigenkapitalrendite aufweisen


China und Indien haben ein ausgewiesenes Wachstum zwischen sieben und zehn Prozent per anno. Chance oder Gefahr für die Unternehmen in der Schweiz?


Ich möchte gerne mit den Chancen beginnen, es tun sich neue Märkte für den Absatz von Schweizer Produkten und Dienstleistungen auf. Es werden sich für die Schweizer Unternehmen auch im Bereich von günstigeren Zulieferern neue Optionen ergeben. Die Schweiz ist gefordert, weiterhin verstärkt in die Ausbildung zu investieren und die Rahmenbedingungen kontinuierlich zu verbessern. In diesem Kontext erachte ich zum Beispiel die neueste bildungspolitsche Initiative, unsere Schriftsprache, das Hochdeutsche, aus unseren Kindergärten zu verbannen, als grossen Rückschritt. Innovativer wäre es, bereits zu diesem Zeitpunkt mit Englisch zu beginnen. .Das macht Sinn, wenn man bedenkt, dass man im Kindesalter schneller und leichter lernt. Zudem ist Kommunikation in der heutigen globalen Welt zentral und Englisch spielt dabei die Hauptrolle.


Der reichste Mensch in China ist eine Frau, Zhang Yin, die mit dem Import von «Müll» (Altpapier aus den USA) und dessen Verarbeitung zu Verpackungsmaterial in China sich ein Vermögen von 5,4 Milliarden Schweizer Franken erwirtschaftet hat. Haben Sie aus Ihrem Umfeld ein Beispiel eines Schweizer Unternehmens mit einer vergleichbar einfachen klingenden Idee und dem daraus resultierenden Erfolg?


Natürlich kann man die beiden Standorte nicht unmittelbar vergleichen, in China herrschen für diese Art von Business optimale Rahmenbedingungen. Aber ich zolle dieser Frau Hochachtung für die Idee und ihren Erfolg. Als Beispiel für die Schweiz möchte ich Nicolas Hayek anführen, dessen Idee die Lancierung einer «zweiten Uhr» zu einem günstigen Preis, von hoher Qualität, kunstvoll, emotional und Swiss Made war. Er legte somit den Grundstein für die Neuerfindung und das unaufhaltbare Wachstum der Swatch Group und der Wiederbelebung der Schweizer Uhrenindustrie.

Als weiteres Beispiel möchte ich Daniel Borel nennen, den Mitbegründer von Logitech, welche die «Maus» erfand. Die Maus wurde zum wichtigen Verbindungsglied zwischen Mensch und Computer.

Als drittes, noch ein Beispiel einer Frau: Alice Huxley, Gründerin (1998) und Chefin des Schweizer Biotechunternehmens Speedel: Sie führte einen vielversprechenden Wirkstoff zum Erfolg. Der Blutdrucksenker ist seit 2007 auf dem Markt. Speedel erreichte 2006 einen Marktwert von 1,3 Milliarden Dollar.

Auch wenn mir keine Schweizerin in den Sinn kommt, die ein Produkt von der Stunde null bis zum Millionenerfolg selbst getragen hat. Was nicht ist, kann aber noch werden! Die Anzahl der Unternehmensgründerinnen unter den Start-ups steigt kontinuierlich an: 2007 waren es 16 Prozent Frauen (1500 Frauen gegenüber 7500 Männern), heute sind es bereits 22 Prozent.


Wie viele von Frauen geführte Unternehmen haben sich im 13. Jahr des SEF für den Jungunternehmer-Award beworben?


Von total 110 Bewerbungen waren zehn Prozent von Frauen geführte Unternehmen.


Apropos Frauen, die staatlich verordnete Quote ist eines der Themen, das Wirtschaft und Politik und die Gemüter in den letzten Monaten verstärkt bewegt. Was halten Sie persönlich von einer gesetzlich festgelegten Quote für Frauen?


Offensichtlich können Zahlen, Fakten und Studien einen Wandel nur sehr langsam – und im Vergleich zu Ländern, die Quoten eingeführt haben zu langsam – erwirken. Trotz- dem erachte ich die Einführung einer staatlich verordneten Quote als ultima ratio. Angela Merkel sagte erst kürzlich, «wir geben euch nochmals eine Chance», dieser Aussage könnte ich mich anschliessen. Gesellschaftlicher Wandel erfordert zwar immer viel Zeit, doch vom Standpunkt ökonomischer Rentabilität ist keine Zeit zu verlieren! Deswegen könnte die Einführung von Quoten – zumindest als Übergangslösung und um Bewegung in die festgefahrene Situation in der Schweiz zu bringen – hierbei helfen. Das immer gerne benutzte Argument, man finde keine geeigneten Frauen, wäre dann vom Tisch, denn es gibt sie!


Die Deutsche Telekom hat vor einem knappen Jahr die Quote eingeführt mit dem Ziel, dass 2015 der weibliche Anteil im Management bei 30 Prozent liegen soll. Im August 2010 wurde Anastassia Lauterbach, eine gebürtige Russin, als ranghöchste Managerin eingestellt. Im März auf der Cebit sickerte die Personalie durch, dass man mit Frau Lauterbach über einen Auflösungsvertrag verhandle. Selbst in angeblich seriösen Medien konnte man zu dieser personellen Veränderung nur emotionale, hämische Berichte lesen. Mit dem Tenor «Das Quoten-Fiasko». Warum, denken Sie, ist das so?


Frau Lauterbach zieht die Aufmerksamkeit auf sich, da es einfach viel weniger Frauen in Führungspositionen gibt; nur zwei Prozent aller Führungskräfte in deutschen Grossunternehmungen (DAX 29) sind Frauen. Solange die Situation sich so darstellt, wird den Frauen auf Führungsebene zu viel Aufmerksamkeit im positiven wie auch negativen Sinn entgegengebracht. Dabei geht dann fast vergessen, dass Männer ebenfalls täglich scheitern. Die Medienschaffenden berichten zudem natürlich lieber über Einzelfälle mit einem negativen Ausgang, als die Beispiele aufzuführen, die von Erfolg gekrönt sind.


Schaut man das globale Ranking zum Thema Frauen in Führungspositionen an, haben die nördlichen Länder Europas, z.B. Norwegen mit 39 Prozent Anteil an weiblichen Führungskräften, die Nase vorne. Haben sich diese Länder gesellschaftlich schneller entwickelt oder seit je ein anderes Rollenverständnis?


Die Situation in Norwegen war im Jahr 2002 die gleiche wie in der Schweiz. Die Situation hat sich nur wegen einer Einzelaktion des damaligen Handels- und Industrieministers Gabrielsen verändert. Er war erzürnt darüber, dass in 470 von 611 Unternehmen keine einzige Frau im Verwaltungsrat sass. Nur gerade sechs Prozent der Unternehmen hatten überhaupt eine oder mehrere Frauen in deren Führungsgremien. Die von ihm angewandte Taktik, um die Veränderung herbeizuführen, bezeichnete er selber als «shock bombing». Er diktierte die neue Regelung sozusagen über Nacht einem Journalisten der grössten Tageszeitung des Landes und überrumpelte hiermit nicht nur die unternehmerische Führungselite des Landes, sondern auch noch gerade den Premierminister und sein ganzes Kabinett. Da die Bevölkerung klar für eine Quotenregelung war, blieb der Regierung nichts anderes übrig, als Gabrielsens Vorstoss zu stützen. Die Regierung gab den Staatsunternehmen nur mal gerade ein (!) Jahr, um sicherzustellen, dass 40 Prozent aller Verwaltungsräte weiblich waren. Den Privatunternehmen wurde eine Schonfrist bis zum 1. Januar 2005 gewährt. Als die Rate dann erst auf 24 Prozent lag, wurden die Unternehmen zur 40-Prozent-Regelung gesetzlich verpflichtet und hatten bis zum Januar 2008 alle Vorgaben zu erfüllen.


Fazit

: Die Bevölkerung Norwegens war sicherlich schon damals bereit für die Einführung der Quote (das Gleiche gilt übrigens auch für das heutige Deutschland), es brauchte jedoch den «Akt eines einzelnen mutigen Politikers», um die Situation zu verändern. Freiwilliges Engagement der Unternehmen hat damals auch in Norwegen zu keiner Verbesserung geführt.


Ihnen ist es ein grosses Anliegen, dass Wirtschaft – «Learn Money» – in der Schweiz ein Schulfach wird. Erläutern Sie mir die Gründe für Ihr Engagement?


Im Bereich Bildung gilt ein uraltes Sprichwort: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Finanzkompetenz ist für Kinder genauso wichtig wie Biologieunterricht oder Sprachkenntnisse. Denn wie sollen sie als Erwachsene wissen, wie man mit Geld umgeht, wenn sie es als Kinder nicht lernen?

Heute sind Kinder und Jugendliche intensiver denn je der Werbung ausgesetzt, deren Ziel es ist, sie als Konsumenten zu gewinnen. Jedes Medium, mit dem sie in Kontakt kommen, vom Fernsehen und Internet über ihr eigenes Handy bis zu den Printmedien, beinhaltet Werbung und versucht über unzählige Wege, zum Konsum zu verführen. Als Konsequenz beobachten wir eine ansteigende Verschuldung unter den Jugendlichen: In der Schweiz ist jeder Dritte unter 25 Jahren verschuldet. Die Kreditfallen sind eben gut versteckt und lauern im Alltag: Natels, Trendklamotten und Elektronikwaren gehören bei den Jugendlichen zur Standardausrüstung und müssen irgendwie finanziert werden.

Was den Jungen fehlt, ist ein Verständnis für allgemeine wirtschaftliche Regeln. Auch ihre Kenntnisse über finanzwirtschaftliche Zusammenhänge sind erschreckend schlecht. In unserer heutigen Welt, die geprägt ist von Überschuldung, sind Finanzkenntnisse und Wissen um unser Wirtschaftssystem von zentraler Bedeutung. Finanzwirtschaftliche Bildung ist notwendig, um die «Grammatik» der heutigen Gesellschaft zu verstehen. Wir sollten uns in der Schweiz um eine systematische Vermittlung von Finanzkompetenz bereits in der Schule bemühen. Es sollte in unser aller Interesse liegen, den Kindern ein adäquates Rüstzeug mitzugeben, um die Grundregeln der Ökonomie zu beherrschen und somit gut vorbereitet zu sein für die globale Gesellschaft.