Vereinbarkeit Beruf und Familie

Gehört die digitale Welt auch den Frauen? Vielleicht.


Kolumne von Carolina Müller-Möhl

Muskelkraft ist künftig weniger gefragt. In der digitalen Welt machen jene Karriere, die sich auf den schnellen Wandel in allen Lebensbereichen einlassen und ihn gestalten wollen. Mit Wissen und insbesondere mit Flexibilität. Eine typisch weibliche Stärke.

Sie ist voll im Gang, die digitale Revolution, die alle unsere Lebensbereiche fundamental verändert. Und natürlich löst sie Ängste aus und Kontroversen darüber, ob es in Zukunft noch genügend Beschäftigung geben wird, wenn Roboter und automatisierte digitale Prozesse viele – vor allem einfache – Arbeiten überflüssig machen.

Ende Oktober kam es bei Anne Wills Diskussionssendung im Ersten Deutschen Fernsehen beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen Befürwortern der neuen digitalen Welt und jenen, die – wie ein anwesender Psychiater – eine akute Gefahr der permanenten Verdummung vor allem von Jugendlichen befürchteten. Gesitteter ging es in einem Gespräch bei Google zu, wo ich mich auf einem Panel zu den Auswirkungen der Digitalisierung insbesondere auf die Berufschancen von Frauen äussern durfte.

Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurück drehen. Dies belegt unter anderem die Tatsache, dass sich die Zahl der Internetnutzer von 121 Millionen im Jahr 1997 auf aktuell etwas mehr als 3.4 Milliarden um den Faktor 28 erhöht hat. Typische digitale Dienstleistungen wie die Suche auf Google, die Empfehlung von Hotels und Restaurants auf Tripadvisor, die online-Bestellung von Waren oder die online-Buchung für die nächsten Ferien sind aus unserem Alltag nicht mehr weg zu denken. Und wir schätzen diese Einfachheit und die 24-Stunden-Verfügbarkeit. Es muss uns aber bewusst sein, dass dabei viele Jobs verloren gehen.

In einer ausführlichen Studie der Bertelsmann Stiftung zu den Folgen der Digitalisierung kommen die Autoren dann auch zum Schluss, dass in entwickelten Volkswirtschaften bis im Jahr 2050 etwa 50% der menschlichen Arbeitskräfte eingespart werden könnten. Davon betroffen wären sowohl das verarbeitende Gewerbe als auch der Dienstleistungsbereich. Dieser düsteren Vision gegenüber stehen aber auch optimistische Szenarien, die mit einer massiven Zunahme neuer Berufsbilder und Beschäftigungen rechnen, von denen wir heute noch keine Ahnung haben. Zwei Schlüsselbegriffe stehen im Vordergrund: «Disruption» und «Sharing», also neue Angebote wie etwa «Uber», die das Taxi-Geschäft neu definieren oder das Teilen von Autos für weniger Stau und eine bessere Mobilität.

Unabhängig davon, ob man die Digitalisierung skeptisch oder positiv beurteilt, eines ist unbestritten: Ausbildung wird noch wichtiger, weil vor allem einfachere Berufe und Tätigkeiten weg fallen, an die keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Es wird daher eine unserer grössten Herausforderungen sein, möglichst viele Menschen so vertraut mit der digitalen Technologie zu machen, dass sie nicht von der Entwicklung abgehängt werden und keine Stelle mehr finden, die ihnen ein Existenz sicherndes Einkommen ermöglicht. Es kann also durchaus sein, dass auf dem Lehrplan der Zukunft bald einmal das Fach «Grundlagen des Programmierens» auftaucht.

Das wäre dann auch die Chance für Frauen, im digitalen Zeitalter eine entscheidende Rolle zu übernehmen. Denn neues Denken ist gefragt und frische Ansätze sind nur möglich, wenn sich alle Stimmen beteiligen. Noch dominieren aber die Männer in der Internet-Economy. In England etwa sind nur gerade 17% der Beschäftigten in der Tech-Industrie Frauen. Die allerwenigsten besetzen Top-Jobs wie etwa Facebook-COO Sheryl Sandberg oder Marissa Mayer, CEO von Yahoo.

Gemischte Teams – das ist heute durch zig Studien bewiesen – harmonieren besser und generieren höhere Erträge. Nun zeigt eine Untersuchung der Beratungsfirma Ernst & Young (EY), dass die angemessene Vertretung von Frauen auf der Führungsebene auch ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor ist, wenn es darum geht, die rasanten Veränderungen im digitalen Zeitalter zu bewältigen und daraus Wettbewerbsvorteile zu generieren.

Technische Fähigkeiten und der Umgang mit den neusten digitalen Instrumenten sind keine männlichen Domänen. In Indien ist bereits die Hälfte aller Angestellten im Tech-Sektor weiblich. Wer weiss, wie komplizierte Codes und Algorithmen programmiert werden, dem gehört die Zukunft. Oder wie es in der Studie von EY treffend heisst: “If you own the code, you own the world”. Damit diese digitale Welt auch den Frauen gehört! – Sicher.


Erschienen in der Schweiz am Sonntag vom 13. November 2016