Standortförderung

Heute habe ich selten schlaflose Nächte


Frau Müller-Möhl, wir sitzen hier in Ihrem Besprechungszimmer vor einer Fotografie, die eine Hausfrau am gedeckten Tisch zeigt. Warum hängen Sie so ein Bild auf?

Ich habe den amerikanischen Künstler Gregory Crewdson vor fünf Jahren an der Art Basel entdeckt und besitze mittlerweile mehrere Fotografien von ihm. Ein spannender Künstler.


Ich suche nach Parallelen zwischen der Frau auf dem Bild und Ihnen.

Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Beim Erwerb eines Bildes ist für mich der Künstler beziehungsweise sein Kunstwerk zentral und nicht der Bezug zu mir. Crewdsons Werke erzählen surreale Geschichten aus dem amerikanischen Vorstadtleben. Die Bilder erinnern an Szenen aus Filmen von Alfred Hitchcock, David Lynch oder Steven Spielberg. Das finde ich interessant.


Seit dem Jahr 2000 tragen Sie die Verantwortung für ein Millionenvermögen. Was für eine Bilanz ziehen Sie nach zehn Jahren Müller- Möhl Group?

Die ersten Jahre nach dem Tod meines Mannes im Jahre 2000 waren nicht einfach. Nach dem Platzen der Internetblase trafen wir auf ein schwieriges Marktumfeld. Zudem verfügten wir über ein äusserst risikobehaftetes Portfolio. Wir haben aus dieser Krise gelernt und während der letzten zehn Jahre – unter anderem – unser Risikoprofil massiv reduziert. Mein Fazit ist deshalb sehr positiv.


Welches sind aktuell Ihre grössten Investitionen?

Wir halten keine dominierenden Einzelinvestitionen mehr. Wir setzen auf ein breit diversifiziertes Portfolio mit allen Anlageklassen von Aktien, Obligationen oder Immobilien et cetera bis zu Mikroversicherungen. Wir investieren in verschiedenste Industrien und Märkte. Grösstes Gewicht haben bei uns zurzeit und seit Mitte 2007 allerdings Cash und Staatsanleihen.


Die Finanzkrise wird wohl trotzdem Schäden hinterlassen haben.

Einzelne Positionen haben schon gelitten, aber dank unserem konservativen Portfolio haben wir den Sturm insgesamt ohne Schäden wohlbehalten überstanden.


Dann bleibt Ihr Vermögen bei den 600 bis 700 Millionen, wie die Zeitschrift «Bilanz» schätzt?

Ich hoffe auf Ihr Verständnis, dass ich dazu keine Stellung nehmen möchte.


Empfinden Sie es zuweilen als Last, so viel Geld zu managen?

Natürlich spüre ich die Verantwortung. Ich habe auch Respekt vor der Aufgabe. Gerade die kommenden Monate werden sehr anspruchsvoll sein. Die wirtschaftliche Lage ist noch sehr labil.


Raubt Ihnen das den Schlaf?

Heute habe ich selten schlaflose Nächte. Ich bin umgeben von einem sensationellen Team und einem guten Kreis von Beratern, die mir gegenüber sehr loyal sind. Gemeinsam haben wir in den letzten Jahren glücklicherweise mehrheitlich richtige Entscheidungen gefällt.


Würde Ihr verstorbener Mann seine Frau heute wiedererkennen?

Sicher! Ich bin ja nicht zu einem anderen Menschen mutiert wie beispielsweise der Handelsreisende Gregor Samsa in Franz Kafkas Erzählung «Die Verwandlung». Hoffentlich bin ich getreu meinem Credo vom lebenslangen Lernen aber auch gereift. Es wäre ja schade, wenn ich nur älter, aber nicht reifer geworden wäre.


Heute sind Sie eine der mächtigsten Wirtschaftsfrauen der Schweiz. Spüren Sie das?

Ich denke nicht, dass ich auf irgendjemanden oder über irgendetwas Macht ausübe. Meine Position als Investorin erlaubt mir aber, durch mein Netzwerk unternehmerisches Handeln und gesellschaftspolitisches Engagement zu verbinden. So ist mir etwa die Bildungspolitik in unserem Land ein grosses Anliegen. Bildung ist die Ressource der Schweiz. Ihr müssen wir Sorge tragen. Dafür engagiere ich mich.


Seit sechs Jahren sitzen Sie auch bei Nestlé im Verwaltungsrat. Wie oft mussten Sie Präsident Peter Brabeck schon widersprechen?

Wir sind als Verwaltungsratsgremium kein Streitgremium, sondern ein Diskussionsgremium. An dieser Diskussion beteilige ich mich wie meine Kollegen selbstverständlich auch.


Sehen Sie sich als attraktive, junge und erfolgreiche Frau noch immer mit Vorurteilen konfrontiert?

Nach zehn Jahren müsste das den Urteilenden doch langweilig sein. Ansonsten muss gelten: You can’t be everyone’s friend.


Erstmals regieren 2010 drei Frauen die Schweiz: Bundesrätin Doris Leuthard, Nationalrätin Pascale Bruderer und Ständerätin Erika Forster.

Das freut mich, und ich gratuliere allen zu ihrer Wahl. Sie sind ein Vorbild für die junge Generation. Dennoch werden Frauen auch heute noch nicht mit gleichen Ellen gemessen wie ihre männlichen Kollegen. Das zeigen übrigens auch unzählige Studien.


Was ist zu tun?

Im Zentrum steht nicht die Frauenförderung per se. Unsere Gesellschaft braucht bessere Rahmenbedingungen.


Was verstehen Sie darunter?

Erstens braucht es bessere politische Leitplanken. Professorin Monika Bütler hat in einem lesenswerten Aufsatz über unsere Krippensubventionierung gezeigt, dass es sich für Frauen ab dem zweiten Kind nicht mehr lohnt, zu arbeiten. Zweitverdienende müssten also zum Beispiel steuerlich entlastet werden. Zweitens braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft. So lange wir in der Schule nach wie vor Unterrichtsmaterial haben, das das klassische Familienbild widerspiegelt, werden Mädchen nicht gerade ermuntert, später zu arbeiten. Drittens müssen die Firmen endlich Strukturen bieten, die Frau und Mann eine Familie neben dem Beruf ermöglichen. Dazu gehören interne Kinderkrippen, flexible Arbeitszeiten oder Wiedereinstiegsprogramme nach längeren Abwesenheiten. Und schliesslich müssen auch wir Frauen unseren Beitrag leisten.


Warum engagieren Sie sich nicht in der Politik für diesen Wandel?

Mit meinem Entscheid, die Müller-Möhl Group weiterzuführen, ist die Frage nach einem politischen Mandat in den Hintergrund gerückt. Ich bin aber ein politisch denkender Mensch und engagiere mich unter anderem als Kolumnistin, über meine Stiftungsmandate und teilweise direkt in Abstimmungskampagnen für unser Bildungssystem, Genderfragen oder etwa auch für Jungunternehmen.


Wie gehen Sie mit der doppelten Belastung Beruf und Familie um?

Es wäre gelogen, zu sagen, dass man alles locker unter einen Hut bringt. Da gibt es Sonntage, die mit Arbeit draufgehen, oder Abende, die man bis Mitternacht vor dem PC sitzt. Dank einer super Infrastruktur bin ich aber sicherlich flexibler als andere berufstätige Frauen und kann mir immer wieder Zeit freischaufeln, beispielsweise für wunderbare Sohn-Mutter-Ferien.


Wo machen Sie Abstriche?

(lacht) Bei der Maniküre.


Ach ja?

Natürlich würde ich gerne mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen und mehr Sport machen. Oder das tolle kulturelle Angebot in Zürich nutzen. Und mehr Lese-Ruhe hätte ich auch gerne. Auf meinem Nachttisch stapeln sich die Bücher – darunter ein Buch von Zukunftsforscher Matthias Horx. Wie er mir bei seinem Vortrag an der Universität Zürich aber sagte, ist es mehr ein Nachschlagewerk – also eben nicht das, was man um Mitternacht noch aufschlägt.


Sie haben gerne Mode. Lassen Sie sich deshalb hin und wieder für ein Fotoshooting gewinnen?

Hin und wieder. Genau zweimal habe ich in den letzten zehn Jahren bei einem solchen Shooting mitgemacht. Beide Male waren es Erstausgaben für Frauen-Business-Magazine.


Sind solche Auftritte nicht heikel?

Wieso? Die Wirtschaftsführer lassen sich mit ihrer Harley oder beim Klettern ablichten und die Politikerinnen beim Wandern. Ich habe Spass an Mode. So einfach ist das.

© 2009 «Tages-Anzeiger»