Vereinbarkeit Beruf und Familie

«Frauen machen es nicht besser, aber anders»


Lederjacke, High Heels, ein fester Händedruck: Dafür, dass sie zu den einflussreichsten Frauen der Schweiz zählt, wirkt Carolina Müller-Möhl erstaunlich cool. Sie ist keine Charity-Lady, die sich gute Taten wie Schmuck um den Hals hängt. Für ihre Foundation setzt sie ihre Zeit, ihr Wissen und ihre Verbindungen ein –  in seltenen Fällen auch finanzielle Mittel. Von alldem profitieren vor allem Frauen, derzeit aber auch das Festival da Jazz in St. Moritz GR, eine Leidenschaft von ihr.


Interview: Katja Richard

Foto: Giancarlo Cattaneo, fotoswiss



Katja Richard:

Warum ausgerechnet Jazz?


Carolina Müller-Möhl:

Jazz hat mich schon in meiner Jugend gepackt. Es ist eine Art von Musik, die für vieles steht, womit ich mich identifizieren kann. Für ¬Individualität, Improvisationsgeist, Rhythmus und Freiheit.


Spielen Sie selbst ein Instrument?


Leider habe ich die Disziplin dafür, eines richtig zu erlernen, nie aufgebracht.


Sonst sind Sie diszipliniert?


Ja, in vielen anderen Dingen, insbesondere im Beruf.


Was für eine Rolle spielen Frauen im Jazz?


Leider eine ähnliche wie in der Politik, Wirtschaft und auch sonst in der Kultur – eine viel zu kleine. Laut einer Studie machen die Frauen im Jazz gerade mal elf Prozent aus. Ich finde das schade, denn Talent kennt kein Geschlecht, und gemischte Teams arbeiten einfach besser. Im Jazz trifft man oft Gruppen, in denen keine einzige Frau mitspielt.


Warum ist das so?


Es geht auch dort oft um Wettbewerb. Um zu einem Solo zu kommen, muss man sich durchsetzen. Ich kenne Frauen, die in Jazzgruppen spielten und schliesslich aufgegeben haben, weil sie einfach nie zum Zug gekommen sind. Darum möchte ich die wenigen Frauen mit «Women in Jazz» sichtbar machen.


Weshalb machen Sie sich für Frauen stark?


Ich würde eher sagen, dass ich mich für die Gesellschaft starkmache. Und die besteht nun mal zur einen Hälfte aus Männern und zur anderen aus Frauen. Weltweit betrachtet sind es sogar ein bisschen mehr Frauen. Und solange sie nicht gleichgestellt sind, mache ich mich für ihre Seite stark.


Wie kann man Frauen fördern – mit Quoten?


Für mich ist das die letzte Lösung, wenn es wirklich keine andere Option gibt. Für eine Übergangszeit können Unternehmen das mit Richtlinien regeln, die eine Frauenquote von erst mal 30 Prozent anstreben. Das Thema ist abendfüllend, letztendlich zählen Wissen, Können und Talent.


Sind Sie Feministin?


Wenn man unter einer Feministin eine Person versteht, die sich für gleiche Rechte von Mann und Frau einsetzt, dann würde ich sagen: ja. Wenn man sich aber jemanden vorstellt, der mit Gewalt und Radau auf die Strasse geht, dann nein. Als Feministin muss man keine BH verbrennen und gegen Männer sein.


Was können Frauen besser als Männer?


Es geht nicht um besser – Frauen machen Sachen anders als Männer. Darum sind für mich gemischte Teams ideal, weil von beiden Seiten das Beste zum Tragen kommt.


Was machen Frauen anders?


Sie kommunizieren auf andere Weise. Das kennt man gut von Partnerschaften her, Frauen sind offener, drücken aus, was sie bewegt, hören gut zu.


Über welche weiblichen ¬Eigenschaften verfügen Sie?


Das Stereotyp trifft in diesem Fall auf mich zu: Multitasking und strategisches Denken.


Ihr Credo lautet: «Tue Gutes und sprich darüber.» Über eigene Leistungen sprechen zu können, gehört nicht unbedingt zu den schweizerischen Eigenschaften.


Mag sein, dass man hier oft sehr zurückhaltend ist. Wichtig ist zu wissen, wie enorm wichtig das Milizsystem in der Schweiz ist. Wie eine Studie von Avenir Suisse aufzeigte, engagieren sich leider immer weniger Leute. Ich mache meine philanthropische Arbeit sichtbar in der Hoffnung, andere zu motivieren.


Woher kommt Ihre Motivation, sich für andere zu engagieren?


Ob man Philanthrop ist, also Menschen liebt, ist letztendlich eine Charakterfrage. Ich liebe Menschen und habe die Möglichkeiten, mich für andere einzusetzen. Das tue ich mit meinem Know-how und meinem Netzwerk. Die Hälfte meiner Zeit und auch finanzielle Mittel setze ich für die Foundation ein.


Wie viel Geld braucht man, um Gutes zu tun?


Jeder kann ein Philanthrop sein. Man kann sich in seiner Gemeinde engagieren, sei es beim Samariterdienst, in der Schulpflege oder beim Einsatz für Flüchtlinge. Auch ein Pfadiführer ist ein Philanthrop. Es gibt unzählige Möglichkeiten, für andere da zu sein. Das ist nicht von finanziellen Mitteln abhängig. Im Übrigen macht es wahnsinnig glücklich.


Derzeit steht die Wahl eines neuen Bundesrates an. In der Landesregierung sind nur noch zwei Frauen vertreten. Als Favorit gilt ein Kandidat aus dem Tessin. Wer hat da für Sie Vorrang – das Tessin oder eine Frau?


In erster Linie geht es momentan ja darum, dass nach Flavio Cotti endlich wieder das Tessin zum Zug kommt. Das scheint mir für das Zusammenleben in der Schweiz und auch im Bundesrat zentraler zu sein. Die beste Lösung wäre natürlich, eine Bundesrätin aus dem Tessin zu haben. Aber wie es scheint, gibt es keine geeignete Kandidatin dafür.


Können Sie sich vorstellen, selber in die Politik zu gehen?


Das habe ich mir oft überlegt, schliesslich habe ich Politik studiert. Aber zu einem solchen Amt konnte ich nie ganz Ja sagen. Ich bin auch ohne Amt ein politischer Mensch, insbesondere mit den Anliegen meiner Stiftung. Egal, ob es um Bildungspolitik, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Standortförderung in der Schweiz geht.


Sie sehen fabelhaft aus und gehen auf die 50 zu. Ein Alter, das Ihnen Sorgen macht?


Danke fürs Kompliment und nein, überhaupt nicht. Ich freue mich auf meinen Fünfzigsten.


Das Interview ist erschienen im SonntagsBLICK am 9. Juli 2017

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