Standortförderung

Kompliment an Couragierte


Wer sich für das Allgemeinwohl einsetzt, sollte mehr Anerkennung finden. Damit sich in unserem Land ein Nährboden für Zivilcourage bilden kann.

So viele waren es noch nie. Insgesamt über 3200 Frauen und Männer hatten dieses Jahr für einen Sitz im National- oder im Ständerat kandidiert. Gegen 240 von ihnen sind schliesslich gewählt worden, genau 59 Frauen und 141 Männer (in vielen Kantonen sind zweite Wahlgänge nötig). Um diese Gewählten wird sich die Berichterstattung der nächsten Jahre drehen. Was aber geschieht mit den Nichtgewählten?

Sie haben etwas getan, das selten ist: Sie haben Zeit, Energie und oft auch eigene Mittel investiert, ohne dass ihnen daraus persönlicher Nutzen erwächst. Klar: Ein Wahlkampf steigert die eigene Bekanntheit, aber er bringt auch Kosten, Kritik und Erschöpfung. Es ist erfreulich, wie viele immer wieder bereit sind, einen Wahlkampf auf sich zu nehmen. Die Politik mit ihrem Milizsystem spielt hier eine Vorreiterrolle.

Mehr Zivilcourage wäre aber auch in anderen Bereichen und fernab des Rampenlichts nötig. Denn Kameras sind meist nur auf die Hunderte von Gewählten gerichtet, nicht auf die Tausende von Nichtgewählten. Die Nachrichten drehen sich um die Gewaltdelikte von wenigen Jugendlichen, nicht um die Gewaltprävention Zehntausender von Eltern und Lehrpersonen. Die Recherchen gelten den Aktivisten des Fremdenhasses und des Antisemitismus, aber selten jenen, die sich an Arbeitsplatz und Familientisch für Toleranz einsetzen. Wer Zivilcourage übt, stellt den eigenen Vorteil zurück. Sich für das Wohlergehen anderer einzusetzen, ist wichtiger. Deshalb bedeutet Zivilcourage Fortschritt, wenn auch nur im Kleinen. Und doch kostet sie ebenso viel Nerven und Kraft wie eine politische oder sportliche Höchstleistung.

Zwar gibt es mittlerweile Preise für couragierte Zeitgenossen, den «Prix Courage» etwa oder auch den «Ritter der Strasse». Zu Recht: Sie rücken das ins richtige Licht, was jene tun, die im entscheidenden Moment Mut beweisen. Und sie fördern Nachahmer. Sei es der Mitschüler, der sich für den Schwächeren einsetzt, eine engagierte Journalistin im Kampf für Menschenrechte und Meinungsfreiheit oder die protestierenden Mönche in Burma – überall zeigt sich, wie viel Zivilcourage bewirken kann.

Überall zeigt sich aber auch, dass Couragierte mit harten Reaktionen rechnen müssen. Nicht ungestraft stellen sie sich gegen gesellschaftlichen Mainstream, die Parteilinie oder die Autorität von Vorgesetzten. Entsprechend erfahren sie Kritik oder gar Ächtung. Aber hätte es denn die Demonstrationen der DDR-Bürger und damit die deutsche Wiedervereinigung gegeben, wenn Menschen stets nur den Weg des geringsten Widerstands gewählt hätten? Hätte es die Befreiungsbewegung in Indien und damit die Entkolonialisierung im 20. Jahrhundert gegeben? Hätte es die Gleichstellung der Schwarzen in den USA gegeben, und wäre der amerikanische Traum von den Bürgerrechten jemals eingelöst worden?

Sosehr Preise und Geschichtsschreibung Zivilcourage würdigen und fördern, so wenig dürfen wir vergessen, dass sie einen gesellschaftlichen Nährboden braucht. Eine eigene Meinung zu vertreten, will gelernt sein: Ohne Schulen und das Elternhaus, die das Debattieren und Auftreten vermitteln, geht es also nicht.

Sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen, braucht Vorbilder im Alltag: Ohne Medien, die den Alltag couragierter Zeitgenossen bekanntmachen, geht es also nicht. Sich gegen Routinen zu stemmen, braucht Wissen und Kreativität: Ohne eine Wirtschaft, die auch unbequeme Fragen und Frager zulässt und fördert, geht es also nicht. Es gibt den Ausspruch, wonach ein Land weniger Helden brauche, je mehr Bürger mit Zivilcourage es habe. Das sollten wir uns mehr zu Herzen nehmen – am Familientisch, am Arbeitsplatz, in Schulen wie auch in Parlamenten, Medienredaktionen und Chefetagen. Zwar ist es noch weit bis zum Zeitpunkt, da wir auch in der Schweiz eine eidgenössische Auszeichnung für den Einsatz zugunsten des Gemeinwohls verleihen können, die mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz vergleichbar wäre. Aber zeigen wir Courage: Machen wir im Alltag die ersten Schritte dazu. Das meiste Unrecht beginnt im Kleinen – Zivilcourage ebenso!

© 2007 «Bilanz»