Stups mich!


Wie ich zur überzeugten Anhängerin von „Nudges“ wurde

Rauchen ist ungesund. Trotzdem greifen gerade viele junge Frauen immer öfter zum Glimmstängel. Übergewicht ist eine der häufigsten Zivilisationskrankheiten. Trotzdem können McDonald’s und andere Fast-Food-Ketten auf eine treue Fangemeinde zählen. Da helfen weder die Drohfinger von Ernährungsberatern noch Bilder von Raucherlungen auf den Zigaretten-Päckli.

Das Handeln wider das bessere Wissen ließ dem US-Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und seinem Kollegen Cass Sunstein keine Ruhe. Gestützt auf verhaltensökonomische Erkenntnisse, schrieben sie 2008 den Bestseller Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt . Ein nudge ist ein Schubser oder Stups, der in diesem Fall die Menschen in die „richtige“ Richtung bewegen soll.

Mir selbst begegneten die „Nudges“ zum ersten Mal während einer Leadership-Weiterbildung an der Harvard Kennedy School. Auf den ersten Blick waren sie mir reichlich suspekt. Braucht es nicht eher gute Bildung, um kluge Entscheidungen zu treffen – anstatt eines Schubsers? Bei genauerem Hinsehen wurde mir aber klar, dass Thaler und Sunstein zeigen, wie festgefahrene Denkmuster und scheinbar unveränderliche Verhaltensweisen aufgebrochen werden können. Nudging funktioniert nicht nur im Kleinen – wenn etwa auf einem Buffet zuerst Obst und erst nachher süße Naschereien platziert werden, wird viel öfter zu Früchten gegriffen. Nein, Nudges funktionieren auch in der Politik.

US-Präsident Barack Obama holte sich Cass Sunstein in sein Beraterteam, wo dieser die Wirksamkeit von Nudges bei verschiedenen regulatorischen Projekten beweisen konnte. Obamas britischer Kollege David Cameron ging noch weiter und gründete 2010 eine sogenannte Nudge-Unit. Vater Staat soll nicht mehr im Gewand des drohenden Hausmeisters auftreten, sondern die Bürger mit sanften Schubsern davon überzeugen, dass sie sich an die Hausordnung halten: also zum Beispiel ihre Steuern pünktlich zahlen. Jeder Beamte im Königreich wird inzwischen in Verhaltenswissenschaften ausgebildet. Und auch in der Schweiz wären Nudges hilfreich, um das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft wieder ins Lot zu bringen oder um die Liberalen aus ihrem Jammertal zu führen. Auch in der Wirtschaft greifen Nudges, wie Iris Bonet, Professorin an der Harvard Kennedy School und Verwaltungsrätin der Credit Suisse, nachweisen konnte. Durch eine Veränderung der Versuchsanordnung – bei einem Anstellungsgespräch werden Frauen und Männer nicht getrennt evaluiert, sondern zusammen – verschwinden geschlechtsspezifische Stereotype, als wären sie nie dagewesen.

Mit sanften Denkanstößen bewegen wir uns also eher in die gewünschte Richtung als mit barschen Befehlen.

Ich plädiere nicht für mehr Erziehung im Staat oder in den Unternehmen. Verantwortung ist eine Sache des Einzelnen und lässt sich nicht an eine Institution delegieren. Wenn aber Nudges eine neue Aufklärung einläuten, in der das smarte Verhalten die alten Strukturen aufbricht und kluge Entscheidungen anstoßen kann, dann werde ich – in einer Zeit, in der die Schweiz vor großen Herausforderungen steht – als Verwaltungsrätin und überzeugte Liberale gern zu einer Nudge-Ambassadeurin.