Standortförderung

«Bringen Sie nicht nur kernige Parolen, Herr Blocher!»


Carolina Müller-Möhl wendet sich in einem offenen Breif an Christoph Blocher. Der solle jetzt Verantwortungsbewusstsein zeigen und praktikable Lösungen präsentieren, fordert sie.

Sehr geehrter Herr 
Altbundesrat Blocher

Als Unternehmer waren Sie erfolgreich. Die Ems-Chemie floriert in der Schweiz und auf den Weltmärkten. Beinahe 3000 Mitarbeitende können dank Ihrer unternehmerischen Weitsicht auf einen sicheren Arbeitsplatz zählen. Als Vater haben Sie Ihre vier Kinder gezielt gefördert und Ihnen den Drang nach Unabhängigkeit mitgegeben. Alle sind hervorragend ausgebildet und haben an Elite-Universitäten studiert. Ihre Tochter Magdalena ist dreifache Mutter, arbeitet zu 100 Prozent und führt als Ihre Nachfolgerin sehr erfolgreich die global agierende Ems-Chemie.

Ihr Sohn Markus leitet die Chemiefirma Dottikon ES, Ihre Tochter Miriam besitzt das traditionelle Läckerli-Huus in Basel 
und Ihre Tochter Rahel sitzt im Verwaltungsrat Ihrer Robinvest. Dafür, Herr Blocher, schätze und respektiere ich Sie.

Ich habe unsere Begegnungen auch immer geschätzt. Politisch bin ich mit Ihnen aber vor allem dann nicht einverstanden, wenn es um Bildungsfragen oder um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Auch weil Sie und Ihre Familienmitglieder ein ganz anderes Leben führen als das, welches Ihre Partei propagiert: Die SVP pflegt ein traditionelles 
Familienmodell, bei dem Mütter zu Hause bleiben und für ihre Kinder sorgen. Gerade Ihre drei Töchter sind aber der lebendige Beweis dafür, dass dieses Familienbild nicht mehr zeitgemäss ist und gut ausgebildete Frauen – auch Mütter – den Arbeitsmarkt bereichern.

Als Unternehmer waren Sie 
liberal und flexibel, nutzten die Talente ausländischer Fachkräfte und investierten unter anderem in den Wachstumsmarkt China. Sie taten also das, was die meisten erfolgreichen Schweizer Firmen tun. Als Politiker treten Sie jedoch gegen die Prinzipien an, die Ihnen und der Schweiz Wohlstand gebracht haben.

Am letzten Sonntag haben Sie die wichtigste Abstimmung seit der Ablehnung des EWR 1992 gewonnen. Eine sehr knappe Mehrheit der Stimmenden hat die Initiative gegen die «Masseneinwanderung» angenommen.

Nun aber, Herr Blocher, tragen Sie Verantwortung. Und alle Schweizer und Schweizerinnen, Befürworter und Gegner Ihrer Initiative, erwarten Lösungen, wie wir künftig mit unseren Nachbarn umgehen wollen. Verantwortung ist nicht an ein Amt geknüpft. Verantwortung ist eine moralische Verpflichtung für jene, welche massgeblich das Schicksal unseres Landes bestimmen. Sie gehören zu dieser Elite, auch wenn Sie sich gerne und erfolgreich als «Volkstribun» präsentieren.

Was schlagen Sie also vor, wenn jetzt der freie Zugang unserer Studierenden an EU-Universitäten gefährdet ist? Oder unsere Hochschulen nicht mehr von den Geldern des EU-Forschungsprogramms profitieren können?

Wie wollen Sie den Streit lösen, wenn zwischen den Branchen um Kontingente gerungen wird? Wer erhält die nötigen Bewilligungen? Die Baufirmen, die Spitäler, die Pharma- oder Nahrungsmittel-
industrie, die auf ausländische Forscher angewiesen ist?

Und was werden Sie tun, wenn unsere internationalen Unternehmen künftig nicht mehr in der Schweiz, sondern im Ausland investieren und wir damit einen 
eklatanten Vorteil im globalen Wettbewerb verlieren? Dies sind nur einige der fundamentalen Fragen, die jetzt einer Antwort 
bedürfen.

Und bitte sagen Sie nicht, das sei jetzt nicht mehr Ihre Sache, nun müsse der Bundesrat in die Hosen. Steigen Sie mit in den Ring und bringen Sie nicht nur kernige Parolen, sondern realistische Lösungsvorschläge an den Tisch. Darauf stosse ich dann gerne mit Ihnen bei einem guten Glas Schweizer Wein im Albisgüetli an. Ich lade Sie ein!

Ihre Carolina Müller-Möhl