Vereinbarkeit Beruf und Familie

Frauen in der Schweizer Politik

Liebe Leserin, lieber Leser

Man könnte meinen, das Thema wie mächtig Frauen sind und wie stark sie in führenden Positionen in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vertreten sein sollen, hätte sich schon längst erledigt. Dass dem nicht so ist, zeigt sich jeden Tag im politischen Diskurs und auch wenn ambitionierte Frauen erleben, wie mühsam nach wie vor der Weg in verantwortungsvolle Positionen ist. Der Wandel in den Köpfen hat noch nicht wirklich stattgefunden und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gerade in der Schweiz noch immer ein gesellschaftspolitischer, nervenaufreibender Dauerbrenner.

Für die Müller-Möhl-Foundation (mmf) ist es darum ein zentrales Anliegen, dieses Thema immer wieder aufs Tapet zu bringen und ganz konkret Lösungswege aufzuzeigen, damit Frauen nicht wählen müssen, ob sie nun Karriere machen oder Kinder haben wollen. Als Veranstalterin, mit Studien, die wir anstossen und mitfinanzieren sowie mit meinem Engagement als Rednerin und Kolumnistin möchte ich meinen Teil dazu beitragen, dass selbstverständlich wird, was heute oft noch beschwerlich ist.

In dieser Spezialausgabe von «Girls Drive» kommen 15 profilierte Politikerinnen jeder Couleur zu Wort, denen ich jeweils 12 Fragen nach ihrem Werdegang, ihren politischen Schwerpunkten, aber auch ihrer ganz persönlichen Motivation gestellt habe.

Für keine war Politikerin ursprünglich der «Traumberuf», den sie gewählt hätten, aber die meisten hatten ein Schlüsselerlebnis oder ein engagiertes Umfeld, das sie motivierte, in die Politik einzusteigen. Ihre Geschichten sollen dazu beitragen, auch die nächste Generation von jungen, gut ausgebildeten und weltoffenen Frauen für politische Anliegen zu begeistern und sich politisch zu engagieren.

Die Schweiz ist nicht gerade eine Vorreiterin, wenn es um die angemessene Vertretung von Frauen in politischen Institutionen und der Wirtschaft geht. So brauchte es Jahrzehnte und mehrere Volksabstimmungen bis das Frauenstimmrecht eingeführt wurde. Nun ist es aber an jenen, die dieses Recht richtigerweise als ganz selbstverständlich erachten, es auch zu nutzen. 50% der Stimmbevölkerung sind Frauen. Dieses Gewicht müssen wir in die politische Debatte einbringen, gerade dann, wenn es um Themen wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Es ist nämlich keinesfalls so, dass Politik in den letzten Jahren weiblicher geworden wäre.

Bei den letzten Wahlen im Herbst 2015 überschritt der Anteil gewählter Frauen im Nationalrat mit 32% zwar zum ersten Mal die Schwelle von 30%. Vier Jahre vorher hatte der Frauenanteil noch bei 29% gelegen. Ganz anders sieht es im Ständerat aus: Nur gerade etwas mehr als 15% Frauen sitzen in der kleinen Kammer. Das ist der niedrigste Wert seit 1991. Nicht viel besser sieht es aus in den Kantonsregierungen, wo nur gerade ein Viertel der Sitze in von Frauen besetzt ist.

Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen kommt denn auch zu dem ernüchternden Fazit: «Der Schwung ist weg.»

Gerne wird die Mär gepflegt, Frauen würden sich eher scheuen, Macht und Einfluss auszuüben. Sie würden keinen Durchhaltewillen haben und seien selten hartnäckig. Tatsache ist aber, dass in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt und in Grossbritannien seit dem Brexit zwei Frauen an der Spitze des Staates stehen, die sehr wohl die Schwerkraft der Macht beherrschen. Und auch in der Schweiz regieren zwei Frauen im Bundesrat.

Diese Entwicklung, aber auch meine tägliche Erfahrung mit engagierten Frauen, die souverän ihren Weg gehen, macht mich zuversichtlich, dass dem Wandel in der Gesellschaft ein Wandel in den Köpfen folgen wird. Dafür braucht es nicht zuletzt Vorbilder. 15 von ihnen finden Sie auf den folgenden Seiten. Ich wünsche Ihnen eine angeregt anregende Lektüre.

Ihre Carolina Müller-Möhl


Die Sonderausgabe der


«Girls Drive» erschien einmalig als Beilage zum

mmf-review 2016