Vereinbarkeit Beruf und Familie

Keine Frauenkarrieren ohne Karrierefrauen


Bei der zuweilen heftig und gehässig geführten Diskussion um die zunehmende Einwanderung von qualifizierten Arbeitskräften in die Schweiz wird ein Aspekt konsequent verschwiegen: Würde das Potenzial von gut und teuer ausgebildeten Frauen besser genutzt, könnten viele offene Stellen problemlos besetzt und so ein wesentlicher Beitrag an das Wachstum unserer Wirtschaft geleistet werden. Dafür braucht es aber ein Umdenken. Flexiblere Arbeitsmodelle und kreative Lösungen, eine bessere Betreuung der Kinder und steuerliche Massnahmen sind nötig, damit Frauen nicht gezwungen sind, sich für Familie oder Karriere zu entscheiden. Und alle müssen am gleichen Strick ziehen: die Unternehmen, die Gesellschaft, die Politik, die Medien und nicht zuletzt die Frauen selber.

Da rieben sich die herbeigerufenen Medienvertreter verwundert die Augen. Ende November präsentierte die Post den Nachfolger für den im September 2012 zurücktretenden Postchef Jürg Bucher. Die Überraschung bestand darin, dass der Nachfolger eine Nachfolgerin war. Als Susanne Ruoff vor die Medien trat, ging ein Raunen durch den Raum. Nicht klar war, ob das Raunen dem Umstand galt, dass man Ruoff nicht kannte und nicht auf der Kandidatenliste hatte oder schlicht und einfach, weil sie eine Frau ist.

Ruoff ist nicht die einzige Frau, die scheinbar aus dem Nichts an die Spitze eines sonst von Männern dominierten Unternehmens berufen wurde. Monika Ribar, Chefin des Basler Logistik-Riesen Panalpina, hat es sogar auf die Liste der 50 einflussreichsten Managerinnen der Welt in der «Financial Times» geschafft. Sie belegt dort immerhin den 25. Rang.

Nicht weit entfernt von der Schönburg, dem Hauptsitz der Schweizer Post, wirkt seit April Jeannine Pilloud als Leiterin der wichtigsten Sparte der SBB, dem Personenverkehr.

Drei Frauen, alle im Logistikbereich, die es ganz nach oben geschafft haben. Und dies in einer Industrie, in der mit harten Bandagen gekämpft und die traditionellerweise von Männernetzwerken beherrscht wird. Pilloud, Ribar, Ruoff an der Spitze von drei bekannten Schweizer Unternehmen, und, wenigstens für dieses Jahr, eine Mehrheit an Frauen im höchsten politischen Gremium der Schweiz, dem Bundesrat. Ist also eingetreten, wofür sich Generationen von engagierten Frauen eingesetzt haben? Haben Frauen und Männer gleiche Chancen, wenn es darum geht, führende Positionen in der Politik und Wirtschaft zu besetzen, zum gleichen Lohn?

Schön wärs. Die Beispiele von erfolgreichen «Karrierefrauen», für viele ist dies immer noch ein Schimpfwort, verstellen den Blick auf eine Realität, die sich in den letzten Jahren nicht grundlegend geändert hat.

Zahlen sind geschlechtsneutral und sie beweisen, dass sich trotz einiger Erfolgsgeschichten in den letzten zehn Jahren wenig getan hat, wenn es um die Vertretung von Frauen in den Teppichetagen von Unternehmungen oder in den höchsten Gremien der Politik geht.

In der Schweiz beträgt der Anteil der Frauen in Geschäftsleitungen nur gerade 5 Prozent, in den Verwaltungsräten sieht es nur ein bisschen besser aus. 10 Prozent aller Verwaltungsräte sind Frauen. Besonders ernüchternd ist die Bilanz in der Finanzbranche: In den Konzernleitungen und Verwaltungsräten der fünf grössten Schweizer Banken sitzen insgesamt 92 Männer – und nur acht Frauen. Seit 2005 haben sich diese Zahlen kaum zugunsten der Frauen verschoben. Zugleich ist der Anteil ausländischer Führungskräfte in der Schweiz markant angewachsen.

Immer wieder betonen Wirtschaftsführer und Politiker, wie wichtig es ist, das Potenzial der gut ausgebildeten Schweizer und Schweizerinnen optimal zu nutzen und dafür zu sorgen, dass breite Bevölkerungskreise eine überdurchschnittlich gute Bildung erhalten, damit sie vorbereitet sind auf den Arbeitsmarkt von heute. Leider eher Sonntagsreden als konkrete Ergebnisse.

Die Rechnung ist einfach und schnell gemacht: 50 Prozent aller Menschen sind Frauen, in der Schweiz sogar noch mehr. Auf 100 Frauen kommen 97 Männer. Ein Viertel aller jungen Frauen in der Schweiz schliessen ein Studium ab, das sind mehr als in Italien, Deutschland oder Österreich. Besonders beliebt bei Frauen ist das Medizinstudium, das verglichen mit anderen Studiengängen besonders teuer ist. 65 Prozent derjenigen, die nach durchschnittlich sechs Jahren das Studium erfolgreich abschliessen, sind wiederum Frauen. Wenn es um den Doktortitel geht, holt das weibliche Geschlecht schnell auf. Über 40 Prozent der Dr. med. sind Frauen. So weit, so gut.

Entschliesst sich eine Frau, nach dem Studium ihren Beruf nicht längerfristig auszuüben, zahlt der Steuerzahler oder die Steuerzahlerin ihre Ausbildung ohne etwas davon zu haben. Der Staat kann später nicht von den Steuererträgen profitieren, die von gut verdienenden Akademikerinnen generiert würden. Im Schnitt verdiente ein Arzt 2008 in der Schweiz nämlich 215 000 Franken pro Jahr, wie die NZZ zu berichten wusste.

Alle diese Fakten und die Logik würden dafür sprechen, dass gut ausgebildete Frauen ihr erworbenes Wissen auch im Beruf einsetzen und wie ihre männlichen Kollegen dann auch Spitzenpositionen in den Unternehmen, den Universitäten oder der Politik besetzen. Zudem könnte die Schweizer Volkswirtschaft von der hervorragenden Wertschöpfung profitieren, die top ausgebildete und hoch motivierte Hochschulabsolventinnen erarbeiten. Wie die Statistik beweist, ist dies aber viel zu wenig der Fall. Was läuft schief zwischen dem hoffnungsvollen Start vieler bestens ausgebildeter Frauen in eine erfolgreiche Berufskarriere und dem Blick in die Verwaltungsratszimmer und Geschäftsleitungssitzungen, in denen bis heute nur sehr wenige Frauen anzutreffen sind?

Es beginnt sehr früh, nämlich im Elternhaus, gefolgt von Kindergarten und Schule. Rollenbilder werden eingeübt und später – oft auch durch Medien und Werbung – zementiert. Typischerweise baut im Bilderbuch Hans das Haus, das Liselotte putzt, pflegt und hegt. Alles ganz nach dem Motto: Warum gibt es mehr Frauen als Männer? Weil es mehr zu putzen als zu denken gibt. Auch in der Werbewelt finden sich Beispiele zuhauf. Über der Anzeige für eine Digitalkamera prangt der Titel: «Sicher nichts für Frauenhände. Ausser beim Einpacken in Geschenkpapier. » Ein bekannter Autovermieter wirbt mit dem Slogan «Besonderer Service für unsere weiblichen Kunden. Dieses Auto würgt sich an der Ampel selber ab.» Die Botschaft ist klar: Frauen sind einfach doof.

Wir alle kennen sie, diese Stigmatisierungen. Manche bringen uns gar zum Lachen. Im beruflichen Kontext sind sie aber mehr nervig als lustig und leider nicht zielführend. Zudem verdeutlicht die Literatur hierzu, dass durch negative Stereotype die Wahrnehmung von Leistung, Potenzial und Kompetenz verzerrt wird. Das gilt bei der Bewerbung ebenso wie für eine Beförderung. So heisst es dann, die Mitarbeiterin sei emotional, beziehungsorientiert und empfindlich, während ihr Kollege als unabhängig, leistungsorientiert und dominant beschrieben wird. Trägt die Frau einen schicken Rock und zeigt Bein, machen allerlei Gerüchte die Runde. Kommt sie ungeschminkt und im Hosenanzug ans Meeting, wird getuschelt, sie sähe müde und abgekämpft aus. Auch die Frauen selber sind nicht davor gefeit, solche Sprüche über ihre Kolleginnen zu machen. Was wiederum die Vorurteile der männlichen Mitarbeitenden bestätigt, die dann über die frauentypische Stutenbissigkeit lästern und sich am Zickenkrieg in der weiblichen Fraktion erfreuen. Nicht schlau, kann man da nur sagen.

Tatsache ist: Frauen sind einfach anders und haben eine andere Art zu führen als Männer. Keine bessere, aber eine andere. Susanne Ruoff, die neue oberste Pöstlerin, hat sich einen hervorragenden Ruf erworben, weil sie einen kooperativen Führungsstil pflegt und durch Argumente überzeugt. Selbstverständlich wird sie das auch in ihrer neuen Position beweisen müssen. Leider wird diese teamorientierte Art des Managements häufig als Mangel an Durchsetzungsfähigkeit kritisiert. Andererseits – auch das ist in vielen Untersuchungen zum Thema nachzulesen – wird eine Frau, die dezidiert und machtbewusst auftritt, schnell einmal als «Mannsweib» abgestempelt.

Noch haben Frauen kein Pendant zum «Old Boys’ Network» entwickelt. Männer haben über die Jahrhunderte gelernt, engmaschige Netzwerke zu knüpfen und sich, trotz aller Konkurrenz, häufig gegenseitig den einen oder anderen Posten zu organisieren. Diese Solidarität prägt oft die Suche nach einem geeigneten Nachfolger, der dem Vorgänger möglichst ähnlich sein soll. Wahrgenommene Gleichheit schafft Sympathie, erhöht das Sicherheitsempfinden und vereinfacht die Kommunikation. So bleibt die Topetage in Männerhand – dies oft völlig unbewusst.

Aus Mangel an Vorbildern stolpern Frauen oft selbst über eingespielte Rollenklischees. Sie gönnen einander weniger und trauen sich weniger zu als den Männern um sie herum. Kompetente, sehr gut ausgebil dete Frauen zögern häufig, wenn sie sich nicht sicher sind, ein Anforderungsprofil zu 100 Prozent zu erfüllen. «Frauen müssen kommunizieren, dass sie Karriere machen wollen», sagte Sandrine Devillard, Senior- Partnerin bei McKinsey in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». «Sie sehen sich zu wenig als Leader, trauen sich zu wenig zu und haben zu geringe Ambitionen. Sie betonen, was sie alles nicht können, während Männer vor allem ihre Vorzüge herausstreichen. »

Nimmt eine Frau aber all ihren Mut zusammen und deklariert, wie die meisten Männer, offen, dass sie Karriere machen und Kinder haben will, stösst sie selbst heute noch auf viel Unverständnis. Nicht nur bei Männern. Ganz anders sieht das bei unseren französischen Nachbarn aus, wo auch in der hintersten Ecke des Landes jeden Morgen ein Schulbus vorbeikommt, um die Kinder in die Tagesschule zu fahren. Niemand käme dort auf die Idee, um das Kindeswohl zu fürchten oder der Ehefrau Vorwürfe zu machen, nur weil der Nachwuchs über Mittag nicht in den Schoss der Mutter zurückkehrt.

Nicht nur zeigen alle Studien, dass in den Ländern, in denen ein gut ausgebautes System der Kinderbetreuung besteht, Frauen leichter in den Hierarchien aufsteigen und in den obersten Etagen besser vertreten sind. In diesen Staaten werden auch mehr Kinder geboren als in jenen Ländern, in denen vergleichsweise wenige Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen. In Norwegen beispielweise sind 61,5 Prozent der Frauen berufstätig und die Geburtenrate mit 1,9 Prozent relativ hoch. Berufstätigkeit führt also keineswegs zu einem Geburtenstreik. Im Gegenteil. So hat Japan trotz einer Mehrheit von nicht erwerbstätigen Frauen eine der weltweit tiefsten Geburtenraten. Mehr als die Hälfte aller Japanerinnen ist nicht berufstätig, trotzdem beträgt die Geburtenrate gerade 1,3 Prozent.

Wo Betreuungsangebote nicht vorhanden sind oder bewusst tradierte Rollenbilder kultiviert werden, stecken Frauen, die einen Beruf und Familie haben wollen, im Dilemma. Entweder werden sie Rabenmütter geschimpft oder sie müssen sich den Spott der Kollegen gefallen lassen, wenn sie fluchtartig das Büro verlassen, weil ihr Kind sich gerade beim Sport die Nase blutig geschlagen hat. Diese und andere Vorstellungen darüber, weshalb Frauen für anspruchsvolle Positionen nicht geeignet sind, scheinen auch in den Köpfen vieler Personalchefs verankert zu sein. «Gläserne Decke» nennt sich dieses Phänomen in der Fachsprache, das unsichtbar dafür sorgt, dass Frauen zu selten für mittlere und höhere Kaderpositionen vorgeschlagen werden.

Der Rechtfertigungsdruck, dem Frauen ausgesetzt sind, hinterlässt seine Spuren. So verzichten 40 Prozent aller gut ausgebildeten Schweizerinnen auf Kinder, weil sich Beruf und Familie aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen schwer bzw. nur mit wesentlich höherem Einsatz von Mutter und Vater unter einen Hut bringen lassen. Doch selbst jenen Frauen, die bewusst auf Kinder verzichten, ist der Aufstieg auf die höchsten Sprossen der Karriereleiter meist verwehrt. Die «Gläserne Decke», gegen die sie stossen, ist viel solider und vor allem undurchsichtiger als es den Anschein macht.

Da erstaunt es nicht, dass die auf Strategieberatung spezialisierte Unternehmung Roland Berger in einer Untersuchung festgestellt hat, dass 80 Prozent der von ihnen befragten Firmen kaum in der Lage sind, Gründe für die mangelnde Vertretung von Frauen in Führungspositionen zu nennen.

Ausser veralteten Klischees über die Rolle der Frauen in unserer Gesellschaft, erschweren sehr konkrete Hürden, die von der Politik beseitigt werden könnten, das Weiterkommen von talentierten und bestens motivierten Frauen. Es braucht mehr Tagesschulen, mehr Krippenplätze, firmeninterne Krippen, die Möglichkeiten für attraktive Teilzeitarbeit oder andere kreative Lösungen innerhalb der Unternehmen, die es auch Müttern ermöglichen, eine interessante Karriere zu machen. In Zeiten der unbegrenzten elektronischen Vernetzung muss eine Frau – und übrigens auch der Mann – nicht immer im Büro sein. Auch die Politik ist gefordert. Es braucht steuerliche Massnahmen, die nicht diejenigen bestrafen, die nun mal beides wollen: Mutter und Karrierefrau sein. Und der Staat muss mit den Unternehmen zusammenarbeiten, wenn es beispielsweise darum geht, die internationale Mobilität von berufstätigen Paaren zu ermöglichen.

All das ist leichter gesagt als getan. Auch den Frauen selbst schwant oft die kräftezehrende, logistische Meisterleistung, die es ihnen so schwer macht, eine ausgeglichene Work- Life-Balance zu finden. Sie resignieren deshalb zu früh und lassen sich von den zu erwartenden Schwierigkeiten zu schnell abschrecken. Das ist fatal, denn gerade die Frauen selbst dürfen nicht gleich beim ersten Wirbelsturm klein beigeben.

Das schweizerische System der einkommensabhängigen Betreuungskosten, welches vor allem Familien mit kleinen und mittleren Einkommen entlasten soll, führt paradoxerweise dazu, dass es sich wegen der Steuerprogression und der hohen Kosten für die Kinderbetreuung oft nicht lohnt, dass beide Partner arbeiten. In einer Studie kam die St. Galler Professorin Monika Bütler bereits 2007 zum Schluss, dass es sich in vie len Fällen für eine Familie mit zwei Kindern – beispielsweise im Kanton Zürich – nicht auszahlt, die Kinder während dreier Tage pro Woche «fremdbetreuen» zu lassen, damit die Mutter mehr arbeiten und damit mehr verdienen kann. Die teure Krippe und die höheren Steuern führen dazu, dass der höhere Lohn der Frau mehr als «weggefressen » wird und in der Haushaltskasse am Ende des Monats weniger übrig ist, als wenn sie zu Hause bliebe. Mehr arbeiten heisst in einem solchen Fall also weniger verdienen, nicht zuletzt darum, weil in keinem anderen OECD-Land die Kinderbetreuung so teuer ist wie in der Schweiz.

A propos verdienen. Nach wie vor ist Lohngleichheit zwischen Mann und Frau ein gerne bemühtes, aber unerfülltes Versprechen. Die Kienbaum/Handelszeitung- Salärstudie 2011 hat ausgerechnet, dass in der Lohntüte auf der obersten Führungsetage beim Chef 62 Prozent mehr drin ist als bei der Chefin. Der männliche Lohndurchschnitt beträgt hier 335 000 Franken, während die weibliche Kollegin in der gleichen Position im Schnitt 208 000 Franken erhält.

Man muss keine Frauenrechtlerin sein, um zur nüchternen Erkenntnis zu gelangen, dass es ökonomischer Unsinn ist, durch überholte Rollenbilder und staatlich falsch gesetzte Anreize Frauen daran zu hindern, sich einerseits im Beruf entfalten zu können und andererseits damit ihren Beitrag zum Wachstum der schweizerischen Wirtschaft zu leisten. Das haben inzwischen auch Topmanager von global tätigen Firmen, so zum Beispiel René Obermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, erkannt, der bis 2015 in der Führungsriege eine Frauenquote von 30 Prozent erreichen will. «Mehr Frauen in Führungspositionen, das ist kein Diktat einer falsch verstandenen Gleichmacherei», sagt er. «Es ist ein Gebot der gesellschaftlichen Fairness.»

Nicht nur das. Es ist auch rein rational betrachtet ein entscheidender Faktor für das Wohlergehen und die Profitabilität eines Unternehmens. Zahlreiche Studien belegen, dass Firmen mit mindestens drei Frauen im Verwaltungsrat eine bis zu 41 Prozent höhere Eigenkapitalrendite erarbeiten. Eine Studie der Unternehmensberater von McKinsey mit dem Titel «Women Matter» (Frauen sind wichtig) kam zum Schluss, dass diejenigen multinationalen Konzerne, die einen besonders hohen Frauenanteil im Topmanagement aufwiesen, eine Rendite erwirtschafteten, die um zehn Prozent über dem Branchendurchschnitt lag. Eine weitere, noch laufende Untersuchung von Fabian Homberg an der Universität Zürich lässt darauf schliessen, dass Frauen in der Führung den Akquisitionserfolg von Unternehmen deutlich erhöhen.

«Je homogener eine Gruppe ist, desto grösser ist das Risiko von Fehlentscheidungen », bestätigt auch die deutsche Arbeitsministerin Ursula von der Leyen im deutschen Magazin «Der Spiegel». Oder wie es die Chefin des Internationalen Währungsfonds, die Französin Christine Lagarde, einmal auf den Punkt brachte, als sie auf den Zusammenbruch der amerikanischen Investment Bank Lehman Brothers angesprochen wurde. «Wenn Lehman Brothers bloss Lehman Sisters gewesen wäre, dann sähe die Welt heute besser aus.»

Heute sind sich alle Experten einig: Gemischte Teams sind erfolgreicher. Damit sind Frauen die am schlechtesten genutzte Ressource der Welt: «Vergessen Sie China, Indien oder das Internet», schrieb kürzlich das angesehene Wirtschaftsmagazin «The Economist». «Das wirtschaftliche Wachstum wird von Frauen getragen.» Die Erhöhung der weiblichen Erwerbsquote in den Industrieländern habe mehr zum Wachstum des globalen Bruttosozialprodukts beigetragen als neue Technologien oder Wirtschaftsgiganten wie China und Indien.

Weltweit sind heute 62 Prozent der weiblichen Bevölkerung ab 15 Jahren erwerbstätig und tragen dazu bei, dass die Wirtschaft in Schwung bleibt und Arbeitsplätze gesichert sind. Nicht nur als Erwerbstätige, sondern auch als Konsumentinnen sind Frauen unverzichtbar: Rund 80 Prozent der Kaufentscheidungen werden von ihnen getroffen. Frauen sind aber nicht nur häufiger die Kundschaft, sie wissen offenbar auch besser mit Geld umzugehen. So leiht Nobelpreisträger Muhammad Yunus, der in den ärmsten Ländern der Welt Kleinunternehmer mit Mikrokrediten beim Aufbau einer Existenz unterstützt, das Geld vor allem den Frauen, wissend, dass sie verantwortungsvoller mit dem kostbaren Kredit umgehen.

Wachen in den Entwicklungsländern Frauen über die spärlich vorhandenen Mittel, um das Überleben der Familie zu sichern, haben die Industrieländer, insbesondere in Europa, ein anderes drängendes Problem. Unsere Gesellschaften überaltern zunehmend. Wir können es uns also gar nicht mehr leisten, auf die am leichtesten zugängliche Ressource zu verzichten, die es gibt. «Die Damen sind Gold wert», meinte «Der Spiegel» treffend im Hinblick auf das immense Potenzial, das in den Tresoren des «Humankapitals», wie die Arbeitskräfte heute neudeutsch heissen, schlummert. Gerade die Schweiz, die auf gut ausgebildete Berufsleute angewiesen ist wie andere Länder auf Erdöl oder Erdgas, sollte die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Leisten wir uns weiterhin den Luxus, den Frauen eine Berufskarriere zu erschweren, kann uns das teuer zu stehen kommen. Eine internationale Studie hat errechnet, dass in Europa in 30 Jahren 24 Millionen Arbeitskräfte fehlen werden, wenn das weibliche Potenzial nicht ausgeschöpft wird. Gerade jene Kräfte, die mit der Angst vor einer Überschwemmung der Schweiz durch ausländische Arbeitskräfte Politik machen, müssten einsehen, dass ihre eigene Frau oder Tochter die Lösung des Problems sein könnte.

Wer schon einmal in einem gemischten Team gearbeitet hat, weiss aus eigener Erfahrung, dass mehr Frauen nicht nur eine ökonomische Notwendigkeit sind, sondern auch eine grosse Bereicherung. Für die zeitgemässe Unternehmensführung, die sogenannte «Good Governance», leisten Frauen einen entscheidenden Beitrag. Die Kommunikation ist offener und der Wissenstransfer innerhalb der Firma wird verbessert. Die «andere Sicht» von Frauen auf die Welt erlaubt es, andere Lösungsansätze für Probleme zu finden. Kein Wunder, dass gerade in kreativen Berufen, aber auch in Positionen, wo Detailgenauigkeit gefordert ist, Frauen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Dies bekräftigt auch Bundesrätin Doris Leuthard in einem Sonderband des «Schweizer Arbeitgeber»: «Ohne Frauen läuft in vielen Schweizer Unternehmen nichts mehr. Aufgrund ihrer Fähigkeiten, ihres Knowhow, ihrer Lebenserfahrung und angesichts der demografischen Entwicklung können wir es uns nicht leisten, dieses Potenzial der Frauen ungenutzt zu lassen. Wir müssen alles daran setzen, dass Frauen noch besser in den Arbeitsmarkt integriert werden. Mit Frauenförderung gibt es mehr Wirtschaftswachstum. »

«Thinking outside the box», abseits der üblichen Wege, zu denken, ist eine Eigenschaft, die immer mehr gefragt ist in einer komplexen Welt. Diese Fähigkeit haben viele Frauen, weil sie in ihrem Alltag mit vielen Bällen gleichzeitig in der Luft jonglieren und sehr verschiedene Aufgaben erfüllen müssen. Schade, dass diese Kompetenz zu wenig genutzt wird. Das britische Smith Institute hat herausgefunden, dass in England gut 70 Prozent der Frauen mit wissenschaftlichen, technischen und Ingenieursqualifikationen in Sektoren arbeiten, wo dieses spezielle Wissen gar nicht verlangt wird. Die Untervertretung weiblicher Topkader ist somit nicht immer die Folge eines Mangels an geeignetem Personal, der so oft und gerne beklagt wird. «Wir hätten schon gerne eine Frau, aber wir konnten leider niemanden mit der gefragten Qualifikation finden», hört man immer wieder.

Die Ursache liegt vielmehr darin, dass beim Auswahlprozess herkömmliche Kriterien höher gewichtet werden und daher Frauen schneller aussortiert werden. Dabei existieren seit geraumer Zeit Beratungsfirmen und Personalspezialisten, die fokussiert sind auf die Vermittlung von weiblichen Arbeitskräften. Und die Initiative «Generation CEO» macht weibliche Managementtalente sichtbar, indem sie jährlich Preise an eine Anzahl sorgfältig ausgewählter junger Aufsteigerinnen verleiht und sie anschliessend in ihr Netzwerk aufnimmt – ein weiterer Talentpool.

Bei vielen motivierten und kompetenten Frauen sitzt der Frust tief, dass sich freiwillig kaum ein Unternehmen für Frauen in führenden Funktionen starkmacht, und das, selbst wenn sie auf Nachwuchs verzichten, der oft als Hindernis für eine erfolgreiche Karriere gilt. Und scheitert dann eine der wenigen Topmanagerinnen, ist das mediale Getöse ungleich lauter, als wenn es einen der zahlreichen Männer betrifft, der die Erwartungen der Angestellten, Aktionäre und der Öffentlichkeit nicht erfüllen konnte. Wäre die Anzahl der weiblichen Top Shots an der Spitze von Unternehmen grösser, würde auch die mediale Aufmerksamkeit kleiner.

Organisationen wie das Gender Equality Project, gegründet von Nicole Schwab, Tochter von WEF-Gründer Klaus Schwab, und Aniela Unguresan, versuchen, hier Abhilfe zu schaffen. Sie haben einen Selbsteinschätzungs- Fragekatalog für Unternehmungen entwickelt, der es Firmen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – erlaubt, herauszufinden, wie es denn steht um die Vertretung der Frauen in Ihren Unternehmungen und wie sie die Situation verbessern könnten. Erste Erfahrungswerte, die aus der Zusammenarbeit unter anderen mit Coca- Cola, Pfizer und L’Oréal gewonnen werden konnten, stimmen zuversichtlich. Alle drei Unternehmen äusserten sich sehr positiv über die Testphase und werden die Arbeit mit dem Gender Equality Project fortführen, um besser zu verstehen, wie Karrieren von Frauen künftig gezielt gefördert werden könnten.

Auch viele Regierungen haben Massnahmen ergriffen. Norwegen hat 2006 eine 40-Prozent-Frauenquoten-Regel für Aufsichtsgremien eingeführt, die heute umgesetzt ist. Spanien, Frankreich und die Niederlande sind auf dem Weg dazu, während Dänemark und Deutschland vorerst noch auf Freiwilligkeit setzen. Sie wollen nur eine Quote einführen, wenn ohne die staatliche Drohkulisse nichts geschieht. Staatliche Unternehmen müssen in einigen Staaten wie etwa in Finnland eine bestimmte Quote einhalten. Privaten Firmen lässt man vorerst noch die Wahl, ob sie mehr Frauen engagieren wollen oder nicht.

In der Schweiz nimmt man es mit der üblichen helvetischen Gemütlichkeit. Mit 82 Prozent Nein-Stimmen wurde im Jahr 2000 die Eidgenössische Volksinitiative der Frauenverbände für eine «gerechtere Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden» heftig abgelehnt. Elf Jahre später bekennt sich die Bundesverwaltung dazu, dass sie Bewerbungen von Frauen bevorzugt behandeln will.

Vorbildliche, wenn auch keine revolutionären Ansätze eines freiwilligen Engagements für Frauen in der Privatwirtschaft, sind beim Pharma-Konzern Roche zu erkennen. Bis 2015 soll eine Quote von 20 Prozent in Führungspositionen erreicht werden. Coop hat bereits eine Quote festgelegt, will sie aber nicht bekannt geben, und die Swisscom ist dabei, eine Strategie auszuarbeiten.

Einen gezielten Entscheid in diese Richtung fällte auch das Unternehmen Valora. Thomas Vollmoeller, CEO, erklärt warum: «Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass gut funktionierende Teams sich in ihrer Zusammensetzung ergänzen müssen. In solchen Teams bereichert man sich gegenseitig und es entstehen neue, kreativere Lösungsansätze. Basierend auf internationalen Studien und eigener Erfahrung, bin ich auch überzeugt, dass ein hoher Frauenanteil in Führungspositionen ökonomische Vorteile bringt. Darüber hinaus wollen wir das bisher wenig genutzte Potenzial von Frauen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt besser nutzen, indem wir Frauenkarrieren gezielt fördern. So haben sich der Verwaltungsrat und die Konzernleitung zum Ziel gesetzt, bis 2015 jede vierte Managementfunktion mit einer Frau zu besetzen. Dies soll die Nutzung eines grösseren Potenzials aktueller und künftiger Mitarbeitenden ermöglichen, aber auch im Sinne einer Chancengleichheit verstanden werden.»

Die Einführung einer Quote wäre am Ende des Tages eine Bankrotterklärung, die deutlich machen würde, dass alle ökonomischen, rationalen, sozialen und demografischen Argumente schwächer sind als althergebrachte Rollenbilder und das sture Beharren auf dem Status quo. Bei so vielen kompetenten, gut und teuer ausgebildeten Frauen wäre es schade, das offensichtlich Richtige und Wünschbare gesetzlich regeln zu müssen.

Zwar kritisiert Nayla Hayek, Präsidentin von Swatch, im Magazin «Der Spiegel» die Frauenquote als «diskriminierend», weil bei der Beurteilung einer Führungsperson die Leistung im Vordergrund stehen müsse und nicht das Geschlecht. Aber auch sie gibt zu, dass Frauen rund um die Uhr beweisen müssen, «dass sie nicht dumm sind». «Bei Männern werden die Fähigkeiten ab einer bestimmten Position nicht mehr in Frage gestellt. »

Als Susanne Ruoff anlässlich ihrer Amtseinführung als Leiterin der Post gefragt wurde, ob sie Quoten befürworte, antwortete sie mit Nein, um aber gleich hinzuzufügen: «Frauen haben aber in diesem Land noch viel Potenzial.» Viel ungenutztes Potenzial muss man wohl sagen, das nur darauf wartet, sich endlich voll entfalten zu können. Für die Schweiz, für unseren wirtschaftlichen Wohlstand und für unser gesellschaftliches Zusammenleben wäre es wichtig und richtig, dass endlich alle am gleichen Strick ziehen. Die Frauen, die Unternehmen und die Politik.