Gender Diversity

Mehr Musikerinnen!


Mehr Musikerinnen!

Die klassische Musik spielt eine wichtige Rolle in unserer Kulturlandschaft. Doch die Akteure sind immer noch zum Grossteil männlich. Hier muss etwas geschehen, findet Carolina Müller-Möhl.

Neulich war ich zu Gast in einem klassischen Konzert. Es stand eine Tschaikowsky-Symphonie auf dem Programm, gespielt von einem weltberühmten Orchester mit dem gewichtigen und rühmlichen Beinamen «Philharmoniker». Das war ein grosser Schmaus für meine Ohren, aber leider kein Fest für meine Augen: Mit Ausnahme von ein paar wenigen weiblichen Musikerinnen spielte vor mir im Grossen und Ganzen ein Männerverein. Seeing is Believing, zu deutsch: «Was man sieht, das glaubt man auch.» Welche junge Musikerin sieht denn in einem männlich dominierten Orchester ihre strahlende Zukunft?

Ich bin der festen Überzeugung: Talent kennt kein Geschlecht. Schön zu wissen, dass auch die wissenschaftliche Forschung meine Meinung immer wieder bestätigt. Bereits vor einigen Jahren kam eine vielzitierte Studie aus Amerika zu dem Schluss, dass Blind-Auditions den Frauenanteil in Orchestern erheblich erhöhen. Musikerinnen und Musiker spielten in den Vorrunden für die Auswahl ins Orchester hinter einem Vorhang. Man konnte also nicht sehen, ob eine Frau oder ein Mann spielte. Was passierte? Die musikalische Leistung der Frauen wurde hinter dem Vorhang viel besser eingeschätzt als vor dem Vorhang. Warum? Weil durch das Vorspielen hinter dem Vorhang die unbewussten Vorurteile ausgeblendet wurden, die jede Frau und jeder Mann in der Beurteilung gegenüber

Frauen und Männern hat. Das Resultat: Orchester weltweit haben deutlich mehr Musikerinnen unter Vertrag genommen. Ähnlich funktioniert dies auch bei der Vorauswahl von Bewerbungen auf Arbeitsstellen. Vor allem in englischsprachigen Ländern darf heute deshalb oftmals aus dem Bewerbungsdossier das Geschlecht der Kandidatin oder des Kandidaten nicht ersichtlich sein. Und wen wundert‘s? Auch hier lässt sich die Zahl der Kandidatinnen, die zu einem Gesprächstermin eingeladen werden, signifikant erhöhen. Ein faires, solides und vor allem mehrfach geprüftes Verfahren für mehr Gerechtigkeit unter den Geschlechtern.

Von meiner Stiftung aus und mit unseren Partnerorganisationen Orpheum Stiftung und Festival da Jazz bieten wir talentierten Musikerinnen eine Bühne. So steigern wir die Sichtbarkeit von weiblichen Talenten und fördern damit ihre Karrieren. Mir ist klar, dass Gleichstellung, ob in der Wirtschaft, Gesellschaft oder Kultur, ein Projekt für die nächsten Jahrzehnte bleiben wird. Für zukünftige Konzerte werde ich mich vorher schlau machen, ob ich wieder männliche Geschlechtereintönigkeit antreffen werde, oder ob es vielleicht etwas mehr Abwechslung in den Orchesterreihen zu entdecken gibt. Auch weil ich künftig einem Männerverein auf der Bühne meinen disharmonischen Seufzer «Ach je, mit Frauen im Orchester würde es genauso gut klingen» ersparen möchte.


Die Kolumne ist am 28. März 2020 in der

Women in Business

erschienen.