Bildung

Schulen sind keine Fabriken


Carolina Müller-Möhl ist Mitinitiantin des ersten Schweizer Schulpreises und Präsidentin der gleichnamigen Stiftung, die den Preis mitsponsert. Die Unternehmerin wünscht sich mehr Frühförderung und Lob für Schulen.



Carolina Müller-Möhl, wie sieht Ihre Traumschule aus?



Da muss ich sofort an meine Kindheit denken. Mein Lieblingslehrer von damals unterrichtete Deutsch, Geschichte und Theater und konnte im Unterricht die Literatur einbringen, in die Theaterkiste greifen oder den Bismarck spielen. Ich liebte die Stunden bei ihm.



Und aus heutiger Sicht?



Als Erwachsene finde ich, eine Schule muss in allen sechs Punkten gut sein, die wir für den Schulpreis beurteilen: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulklima und Schule als lernende Institution. Und in mindestens einem Punkt müsste sie überragend sein. Natürlich sollte sie auch Lehrer einstellen, die Wissen so vermitteln können, dass die Schüler motiviert, animiert und inspiriert sind.



Als Mitinitiantin des ersten gesamtschweizerischen Schulpreises suchen Sie die beste Schule des Landes. Was versprechen Sie sich davon?



Zunächst muss ich etwas klarstellen: Die beste Schule gibt es nicht. Wir sprechen deshalb von ausgezeichneten Schulen. Abgesehen davon halte ich den Schulpreis auch deshalb für eine tolle Idee, weil er für einmal das Positive beleuchtet. Das scheint mir dringend nötig nach all dem Schul-Bashing, das seit Jahren in den Medien stattfindet. Der Preis soll Lehrer, Schüler und Eltern gleichermassen stolz machen.



Was gibt es Gutes zu sagen über die Schweizer Schullandschaft?



Wir haben eine tolle Volksschule und ein duales Berufsbildungssystem, das wegen seiner Genialität im Ausland x-fach kopiert wird. Daraus resultiert eine weltweit einmalig tiefe Jugendarbeitslosigkeit. Aber wir dürfen nicht stehen bleiben.



Was müsste man rasch ändern?



Dringenden Handlungsbedarf gibt es bei der Frühförderung. Bereits Kleinkinder brauchen eine ausgewogene Bildung und Erziehung. Studien belegen, dass Kinder davon in Sachen Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin profitieren. Sie neigen später weniger zu Kriminalität und Drogenabhängigkeit. Das bedeutet weniger Sozialfälle. Eine Studie des Nobelpreisträgers James Heckman zeigt, dass jeder hier investierte Franken siebenfach zurückkommt.



Beim Stichwort Frühförderung denken viele an Frühchinesisch und Kinderyoga



. Wir sprechen aber nicht davon, dass Dreijährige fähig sein sollen, im Kopfstand auf Chinesisch bis hundert zu zählen. Wir sprechen davon, Kindern eine anregungsreiche, wertschätzende und beschützende Lernumwelt zu bieten, in der Bezugspersonen einen bewussten, erzieherischen Umgang mit dem Kind pflegen. Besonders profitieren davon übrigens Migrantenkinder. Man weiss, dass ihre Chancen auf eine akademische Laufbahn auf das Eineinhalbfache steigen, wenn sie eine gute Krippe besucht haben.



Schulen auszuzeichnen ist ja gut und schön, aber die wenigsten Eltern können wählen, welche Schule ihre Kinder besuchen.



Ich bin für die freie Schulwahl. Eltern und Schüler sollen selber entscheiden können, welche Institution ihnen am meisten entspricht. Ausserdem würde der Wettbewerb den Schulen guttun. Da die freie Schulwahl an der Urne bisher abgelehnt wurde, gibt es immer mehr Privatschulen. So kreiert man eine Zweiklassengesellschaft, was sehr schade ist.



Als Philanthropin haben Sie sicher eine Vorstellung davon, welche Art Menschen eine gute Schule hervorbringen soll.



Kinder sind kein Produkt und Schulen keine Fabriken. Sie können nur zur Erfolgsgeschichte beitragen. Schön wäre es, nach neun Schuljahren Persönlichkeiten zu haben, die menschenliebend und selbständig sind, sich für andere einsetzen, an der Gesellschaft partizipieren und Verantwortung übernehmen.



Viele Lehrerwürden in der Privatwirtschaft einiges mehr verdienen als im Lehrerjob. Investieren wir genug in unsere Schulen?



Klar, wenn ich einen wirklich guten Pädagogen für mein Kind finde, ist der unbezahlbar. Aber in erster Linie muss man den Lehrberuf wieder attraktiver machen. Die Möglichkeiten für Quereinsteiger sind ein erster, richtiger Schritt. Was noch fehlt, ist ein Evaluationselement. In jedem anderen Job werden Arbeitnehmer auch an ihrer Leistung gemessen und entsprechend entlöhnt. Ein Feedback von den Schülern wäre ebenfalls hilfreich.



Eltern würden sich hier sicher auch gern einbringen.



Das ist heikel. Allerdings ist es das einzig Richtige, Eltern für alle schulischen Anliegen mit ins Boot zu holen.



Sie sind Mutter eines Teenagers. Hat ein Schlüsselerlebnis mit Ihrem Sohn Sie dazu bewogen, sich für gute Schulen einzusetzen?



Ich selber habe enorm von meiner Bildung profitiert. Sie ist absolut zentral in meinem Leben, und ich kann auch in Krisen darauf zurückgreifen. Wie vor 13 Jahren, als mein Mann starb und ich mit dem zweijährigen Sohn allein da stand. Ich will, dass möglichst viele Kinder in den Genuss von guter Bildung und Erziehung kommen.



Sie besuchten mehrere Jahre das Internat Salem am Bodensee. Welches waren weitere Schulstationen?



Zuerst besuchte ich einen Montessori-Kindergarten, dann die Schule am Wald bei der Trichtenhauser Mühle in Zürich, eine normale Volksschule, und mit zwölf wollte ich unbedingt nach Salem. Ich hatte romantische Hanni- und-Nanni-Träume und suchte immer die Gemeinschaft. In Salem habe ich mich wohl gefühlt, auch wenn das Internatsleben seine harten Seiten hat. Es ist nicht für jedes Kind zu empfehlen.



Was ist hart in Salem?



Man ist schon in jungen Jahren von den Eltern getrennt, hat keine Schulter zum Ausweinen. Als Schweizerin wurde ich beispielsweise anfangs monatelang «Chuchichäschtli » genannt. Ich übte mit Hilfe eines Tonbands akzentfreies Hochdeutsch. So etwas prägt. Ansonsten habe ich viele gute Erinnerungen an die Zeit. Freunde von damals gehören bis heute zu meiner erweiterten Familie.



Ihre weiteren Pläne mit der Müller-Möhl Foundation?



Aus dem Schulpreis soll ein Netzwerk entstehen, das die Erkenntnisse aus dem Wettbewerb bündelt und anderen Schulen zur Verfügung stellt. Wir planen eine Studie über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und arbeiten eng mit anderen Stiftungen wie der Jacobs Foundation zusammen, um die frühkindliche Förderung in der Schweiz voranzutreiben.



Bleibt da noch Zeit für anderes?



Im Moment wenig.Die Foundation beansprucht mich ziemlich, besonders der Schulpreis. Aber jetzt habe ich das Netzwerk, um mich für gute Schulen einzusetzen. Und mit der Credit Suisse, dem Verein Jugend und Wirtschaft und dem Migros- Kulturprozent als Mitsponsoren auch erste Partner, die helfen. Ich engagiere mich mit viel Freude und Leidenschaft.