Vereinbarkeit Beruf und Familie

Zeit, die Saite zu wechseln


Kolumne von Carolina Müller-Möhl


«Prima Donna» lautete das Motto des diesjährigen Lucerne Festival und legte den Akzent auf die Rolle der Frau in der klassischen Musik: Einen Sommermonat lang gaben Musikerinnen, Komponistinnen und Dirigentinnen in Luzern den Ton an. Eine grossartige Idee, wie ich finde! Umso erstaunter war ich, als während des Abendessens nach einem wunderbaren Konzert eine heftige Diskussion zum Thema entbrannte. Spitze Bemerkungen wie «geschützte Werkstatt» oder «unnötiger Frauenbonus» flogen durch die Runde. Dabei ist es doch selbst heute noch – also in Zeiten der allseits proklamierten Gleichberechtigung – für Frauen in der klassischen Musik schwer, sich Gehör zu verschaffen.

Dabei haben Frauen schon immer Musik komponiert und vorgetragen. Eine der ersten Komponistinnen, deren Werke bis zum heutigen Tag gespielt werden, war Hildegard von Bingen (1098–1179). Trotzdem berichten die meisten Fachbücher zur Musikgeschichte fast ausschliesslich über die Rolle männlicher Komponisten. Im «Oxford Dictionary of Music» ist Clara Schumann (1819–1896) die einzige erwähnte Komponistin. Und zeitgenössische Komponistinnen erobern erst langsam die Konzertprogramme.

Orchester waren ebenfalls lange Zeit Männerbünde: Die Berliner Philharmoniker nahmen ihre erste Frau, die Violinistin Madeleine Carruzzo, im Jahr 1982 auf, die Wiener Philharmoniker sogar erst 1997 – notabene nach Protesten der International Alliance for Women in Music. Trotzdem bleibt der Frauenanteil in diesen Spitzenorchestern marginal. Bei den Berliner Philharmonikern beispielsweise liegt er gerade einmal bei 14 Prozent. Inzwischen lassen deshalb viele Orchester, vor allem in den Vereinigten Staaten, Bewerber hinter einem Vorhang vorspielen. Das hat dort zu einem deutlichen Anstieg des Frauenanteils geführt. Bei den New Yorker Philharmonikern liegt dieser mittlerweile bei fast 50 Prozent.

Am schwersten haben es bis heute die Dirigentinnen, denen das Lucerne Festival unter anderem einen Erlebnistag widmete. Weibliche Orchesterchefs lassen sich immer noch an einer Hand abzählen. So war die Aufregung gross, als Marin Alsop, die erste Chefdirigentin eines grossen amerikanischen Orchesters, 2014 als erste Frau in der fast 120-jährigen Geschichte das «Last Night of the Proms»-Konzert in England dirigierte. Sie zeigte damit, dass der Platz ganz vorne eben auch von einer Frau besetzt sein kann. Viele abfällige Kommentare folgten. Sogar von einer möglichen «sexuellen Ablenkung» für das Orchester war die Rede. Dabei wissen wir es doch längst besser: Talent hat kein Geschlecht! Oder, um es mit den Worten von Jelka Weber, Flötistin bei den Berliner Philharmonikern, zu sagen: «Wenn sich weibliche und männliche Talente vereinen, dann erreichen wir unglaublich viel Gutes.»

Zu diesem Resultat kamen wir letztlich auch an der Tischrunde nach dem Konzert. Denn Vorurteile überwindet man am besten, indem man sich selbst ein Bild macht. Meine Meinung: Zwar hat sich einiges getan, aber erst wenn komponierende, musizierende und dirigierende Frauen eine Selbstverständlichkeit sind, können wir aufhören, darüber zu diskutieren.

Erschienen in der annabelle am 9. November 2016