Standortförderung

Zurück an die Arbeit!


Kolumne von Carolina Müller-Möhl


Nach den Sommerferien wartet gerade auf die Politik ein Berg von Arbeit. Lösungen müssen gefunden werden für unser Verhältnis zur EU, eine pragmatische Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) und eine liberale Praxis für die Zulassung ausländischer Fachkräfte.


Vor fast genau einem Jahr habe ich an dieser Stelle darüber geschrieben, dass nach einem meteorologisch extrem heissen Sommer nun die hitzige Phase des Wahlkampfes um die Sitze im Bundeshaus beginnt. Seither haben die Bürgerlichen im Parlament zwar zugelegt, aber die damals schon brennenden Themen harren weiterhin der Dinge. Brisant: In nicht einmal einem halben Jahr muss ein neues System zur Regelung der Zuwanderung eingeführt werden. Trotzdem gibt es noch keinen mehrheitsfähigen Vorschlag für die Umsetzung der MEI. Im Gegenteil: Beinahe wöchentlich werden neue Ideen präsentiert, wie die Zuwanderung begrenzt werden kann, ohne die bilateralen Verträge zu gefährden.

Mit anderen Worten, die dringlichen Probleme sind noch nicht gelöst. Dies machte Roche-Chef Severin Schwan bei der Präsentation der Halbjahreszahlen im Juli ungewohnt deutlich. Der Österreicher richtete eine Philippika an den Bundesrat, der unter dem Eindruck der MEI in vorauseilendem Gehorsam schon Ende 2014 beschlossen hatte die Kontingente für Bürger, die aus Drittstaaten, also nicht aus der CH oder aus der EU, stammen, zu kürzen. Von 8500 auf 6500. «Mir ist überhaupt nicht verständlich», sagte er unverblümt, «wieso der Bundesrat die Kontingente für Angehörige aus Drittstaaten gekürzt hat.» Roche sei massiv auf hoch qualifizierte Fachkräfte gerade aus Drittstaaten angewiesen. Über die Hälfte der Mitarbeiter in der Forschungsabteilung stammten aus dem Ausland. Der Basler Volkswirtschaftsdirektor Christoph Brutschin bestätigte die Sorge, als er sagte, «es gibt Hinweise, dass die Kontingente für Basel-Stadt in diesem Jahr nicht ausreichen könnten».

Waren wir mit diesem Dilemma vor einem Jahr noch allein in Europa, hat uns nun die überraschende Brexit-Entscheidung der Briten einen formidablen Verbündeten beschert. Und plötzlich realisieren die Wähler, welche dem «Establishment » einmal mit dem Stimmzettel die rote Karte zeigen wollten, dass am Tag danach die Realität sehr viel düsterer aussieht als es die protektionistischen, patriotischen Aufrufe der Brexit-Befürworter erwarten liessen.

Vielleicht bringt das auch diejenigen hierzulande wieder zur Besinnung, die unverdrossen behaupten, die Schweizer Wirtschaft könne auch ohne die Bilateralen gut leben. Hoffentlich haben es Fakten jetzt wieder etwas einfacher, gegen Behauptungen zu bestehen.

Sie sind es wert, angeschaut zu werden. So werden etwa 75 Prozent der Schweizer Hightech-Startups von Migranten gegründet. Ausländer überwiesen 2014 aus der Schweiz 3,6 Milliarden Franken – etwa gleich viel wie die offizielle Schweizer Entwicklungszusammenarbeit – in ihre Heimatländer ausserhalb Westeuropas und trugen damit zur Stabilisierung dieser Länder bei. Und noch etwas geht in der permanenten medialen Erregung vergessen: Der Anteil der Migranten an der Weltbevölkerung lag von 1960 bis 2013 konstant bei 3 Prozent.

Dass schrille Töne, kaum nachprüfbare Zahlen und simple Lösungen ein durchaus erfolgreicher Mix sein können, stellen wir gerade jetzt fest. Wer hätte vor einem Jahr auf einen Brexit Englands und einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump gewettet?

Ich meine aber, dass wir erstens geübter sind als andere Länder, wenn es darum geht, mit dem Stimmzettel unsere Interessen zu vertreten, und zweitens, dass die Schweiz immer dann erfolgreich war und ist, wenn sie mit kühlem Kopf und dem typisch eidgenössischen Schuss Pragmatismus über grundsätzliche Fragen entscheidet. Diese Tugenden sollten wir gerade in einer Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint, besonders pflegen. In diesem Sinne also: «Let’s go back to work!»


Erschienen in der Schweiz am Sonntag vom 21. August 2016