Vereinbarkeit Beruf und Familie

«Talent kennt kein Geschlecht»

Sie ist studierte Politologin, Investorin und Philanthropin – Carolina Müller-Möhl. Und sie unterstützt mit ihrer Stiftung das Festival da Jazz. Im Interview verrät sie, welchen Bezug sie zu Jazz hat und weshalb es aus ihrer Sicht wichtig ist, dass viel mehr Jazzmusikerinnen auf der Bühne stehen.

Von MIRJAM BRUDER


«Engadiner Post/Posta Ladina»: Carolina Müller-Möhl, Sie sind seit Ihrer Jugend ein grosser Jazzfan. Wie kam es dazu?

Carolina Müller-Möhl: Mein erster langjähriger Freund im Internat kam aus einer Jazzmusikerfamilie, spielte Gitarre und schenkte mir eine Platte von Dee Dee Bridgewater. Damals war ich 15 Jahre alt. Seither verfolge ich nicht nur ihre Karriere, ich höre viel und zahlreiche Vocal-Jazzerinnen – verstorbene wie Abbey Lincoln und Lebende wie Somi, Diana Krall oder Madeleine Peyroux.


Was bedeutet Ihnen Musik?

Viel. Musik begleitet mich – wenn möglich – durch den Tag. Entweder sie unterstreicht die Stimmung, in der ich bin oder bringt mich in die Stimmung, in die ich kommen will. Morgens ist es eher klassische Musik, abends Jazz, und in den Sommerferien sind es viele Livekonzerte am Festival da Jazz.


Spielen Sie selbst ein Instrument?

Leider keines wirklich. Ich habe mit Blockflöte angefangen, mich an der Gitarre versucht, drei Griffe am Klavier gelernt. Aber der Wunsch, ein Instrument spielen zu können, ist immer noch da. Wer weiss …


Am 13. Juli tritt anlässlich des Festival da Jazz Rhoda Scott mit dem Lady Quartett auf. Sie engagieren sich selbst dafür, dass beim Festival da Jazz mehr Frauen auftreten. Weshalb dieses Engagement?

Frauen sind in der Jazzmusik unterrepräsentiert. Dieser Eindruck lässt sich auch anhand von Zahlen belegen. Auf den Pop-, Rock- und den Jazzbühnen sind Frauen mit nur 15 Prozent vertreten. Hinzu kommt, dass Frauen im Jazz kaum als Instrumentalistinnen auftreten. Mit unserem Engagement wollen wir gezielt Musikerinnen auf die Bühne holen und damit sagen: Schaut her, es gibt sie, die guten Musikerinnen. Man kann es auch als Frau auf die grosse Bühne schaffen. Ganz nach dem Motto: Seeing is believing.


Weshalb gibt es nach wie vor viel mehr männliche Jazzmusiker als weibliche?

Das liegt stark in der Geschichte des Jazz begründet. Diese war geprägt von einem Wettbewerbsverständnis, bei dem es darum ging, den anderen niederzuspielen. Obwohl diese Strukturen in den Sechzigerjahren durch das Aufkommen der Stilrichtung des Free Jazz aufgebrochen wurden, blieb der Jazz im Bereich des Instrumental von Männern dominiert, die im Wettbewerb um den ersten Spielrang kämpfen. Das liegt vielen Frauen nicht.


Was würde sich in der Jazzmusik verändern, wenn es mehr Jazzmusikerinnen gäbe?

Mehr Frauen im Jazz bedeuten mehr und vielfältigere Klangfarben, alternative musikalische Weiterentwicklungen und noch mehr Jazzmusikerinnen. Denn weibliche Vorbilder ziehen weibliche Talente nach sich.


Was wäre notwendig, um mehr Frauen zu Jazzmusikerinnen werden zu lassen?

Alle müssen an einem Strang ziehen: Musikhochschulen, Programmdirektoren von Jazzfestivals und die Jazzkünstlerinnen und -künstler selbst. Es ist wichtig, dass an den Hochschulen bereits im Bewerbungsprozess der Fokus auf weibliche Nachwuchstalente gelegt wird. Die Veranstalter sollten bei ihren Buchungen talentierte Künstlerinnen im Bereich Instrumental engagieren. Und auch die Musikerinnen und Musiker sollten klar Position beziehen. Denn nur gemeinsam kann man etwas bewegen und ein Bewusstsein für dieses Thema schaffen.


Wer ist besonders gefordert?

Ich denke, es ist ein Zusammenspiel von allen. Nur wenn jeder seinen Part übernimmt, kann insgesamt etwas verändert werden. Was bringt es, wenn wir talentierte Absolventinnen haben, die keinen Platz in den Bands finden und von den Stars der Szene nicht gefördert werden?


Haben Sie eine Lieblings-Jazzmusikerin?

Zu meinem zahlreichen Lieblings-Jazzmusikerinnen gehört seit neuestem Somi, eine junge Künstlerin aus New York. Sie war im Rahmen des Engagements meiner Stiftung «Women in Jazz» letztes Jahr am Festival.


Weshalb ist sie eine Ihrer Lieblings-Jazzmusikerin?

Sie bezaubert nicht nur mit ihrer ausdrucksvollen Stimme, sondern ist mit ihrer Musik, die eine Mischung aus Jazz und Soul ist, auch politisch engagiert. Ihre Eltern stammen aus Ruanda und Uganda, sie selbst wurde in den USA geboren und lebte auch zeitweise in Nigeria. Sie ist eine äusserst spannende Person. Ich freue mich über unsere junge Freundschaft und unterstütze ihr neuestes Projekt, ein Musical.


Sie sind sehr engagiert, sind in unzähligen Stiftungen und Beiräten, Ihre Agenda ist prall gefüllt. Wie viel Zeit bleibt Ihnen trotzdem, die Jazzkonzerte des Festival da Jazz zu besuchen?

Viel zu wenig! Ich liebe das Engadin im Sommer und natürlich das Jazzfestival. Umso wichtiger ist mir daher die Veranstaltungsreihe «Women in Jazz», die jedes Jahr einen ganz festen Platz in meiner Agenda hat.


Neben dem Engagement beim Festival da Jazz fokussieren Sie sich mit der Müller-Möhl Foundation auf Bildung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Standortförderung. Welches sind Ihre wichtigsten Anliegen in diesen drei Bereichen?

Die Themen gehören wesentlich zusammen. Im Förderschwerpunkt «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» arbeiten wir zum Beispiel an Voraussetzungen für die bessere Nutzung des weiblichen Potenzials in der Schweiz. Mit dem Motto «Talent kennt kein Geschlecht» wollen wir erreichen, dass sich Frauen, Männer, Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Medien gemeinsam für die Gleichstellung einsetzen. Frauen sind in der Schweiz zwar prinzipiell und per Gesetz gleichgestellt, es herrschen aber unbewusste Vorurteile gegenüber Frauen vor, die Karrieren und damit eine effektive Gleichstellung verhindern. Es gibt aber auch strukturelle Probleme, die wir angehen. Wir stehen ein für bezahlbare Kinderkrippen, schweizweite Ganztagsschulen und die Einführung der Individualbesteuerung.


Können Sie ein konkretes und aktuelles Beispiel nennen?

Zurzeit fördern wir die Diskussion um die Einführung einer modifizierten Individualbesteuerung in der Schweiz. Die Individualbesteuerung wurde der Schweiz mehrmals von der OECD empfohlen, um die heimische Produktion zu steigern und das Erwerbsvolumen von Frauen zu erhöhen. Denn mit dieser Besteuerung würden die bisher bestehenden negativen Erwerbsanreize für Zweitverdienende, die meist Frauen sind, wegfallen. Dies konnte die Müller-Möhl Foundation mittels einer aktuellen Auftragsstudie wissenschaftlich belegen. Ich hoffe, dass im Zuge der Diskussion um die sogenannte Heiratsstrafe und den Bundesgerichtsentscheid zur Annullierung der Ergebnisse der CVPVolksabstimmung sich nun endlich das faire und wirtschaftlich attraktive Steuermodell einer Individualbesteuerung auch in der Schweiz durchsetzt. An unserem Projekt zur Individualbesteuerung sieht man sehr gut, dass unsere Förderthemen stets Hand in Hand gehen. Mit einer Individualbesteuerung lohnt sich für Frauen als Zweitverdienende das Arbeiten wieder. Die oftmals kostspieligen Bildungsinvestitionen in ihre Berufsausbildung werden produktiv genutzt, und dies stärkt den Standort Schweiz.

Das Interview ist am 11. Juli 2019 in der

Engadiner Post

erschienen.