Auf dem Prüfstand
Rücken Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in der Krise näher zusammen, kann das auch eine Chance sein.
Wir stecken mittendrin: Die Wirtschaftskrise hat auch die Schweiz erfasst. Politik und Wirtschaft müssen nach Jahren der Entfremdung wieder zusammen rücken – sie sitzen im selben, in Seenot geratenen Boot. Der Einsatz von Alt-Bundesrat Kaspar Villiger für die UBS, die Stützungsmassnahmen der Nationalbank und die wirtschaftspolitische Diplomatie im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis sind die sichtbarsten Zeichen dafür.
Wir gehorchen der Not der Stunde, tun aber, was seit längerem fällig war. Wir versuchen, wirtschaftliches Gewinnstreben und politische Verantwortung in ein besseres Gleichgewicht zu bringen. Diese Forderung ist zwar Bestandteil vieler Firmenleitbilder. Entsprechend ist schon immer gesponsert, gespendet und gestiftet worden. Doch wurde die Ernsthaftigkeit des Anliegens zuweilen unterschätzt. Börsenhypes und -crashs liessen andere Prioritäten in den Vordergrund rücken. Mit der Krise steigt das Bedürfnis, in nachhaltige Unternehmen zu investieren. Damit dürfte auch die Corporate Citizenship wieder wichtiger werden. Künftig wird es keine starke Marke und keine solide Unternehmensreputation mehr geben ohne gezielte gesellschaftliche Vernetzung und somit sichtbare Corporate Social Responsibility. Firmen wie Nestlé, Coop und auch einige KMU hierzulande machen es bereits heute vor.
Wollen wir das Unternehmertum stabiler machen, sollten wir nicht alte Fehler wiederholen. Zu vermeiden wäre einerseits das Opportunismussyndrom. Stiftungen, Nachhaltigkeits- und Sozialprogramme werden zu häufig dann ins Leben gerufen, wenn ein bestimmter Anlass dies gerade als angebracht erscheinen lässt. Das kann ein Jubiläum, der Lebenstraum einer Führungskraft oder der öffentliche Druck sein. Zu oft geht jedoch vergessen, dass solche Engagements auf einer vertiefenden Umfeldanalyse aufbauen sollten. Corporate Citizenship sollte echte gesellschaftliche Probleme lösen. «Professionalität wie im Kerngeschäft» müsste die Devise der Firmen lauten.
Das zweite Syndrom, das wir vermeiden sollten, ist das Privatisierungssyndrom. Bei der Corporate Citizenship muss nicht jeder das Rad neu erfinden. Bevor Firmen spenden, stiften beziehungsweise Programme lancieren, sollten sie Aktivitäten anderer Firmen («best in class») oder Stiftungen genau untersuchen. Externe Partnerschaften mit internationalen Organisationen, NGO oder Stiftungen sind attraktiv. Dank Synergien kann der Mitteleinsatz optimiert und somit die Wirkung gesteigert werden. Man stelle sich vor, was die 18’000 Stiftungen in der Schweiz mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 40 bis 60 Milliarden Franken zu bewegen imstande wären! Die Lösung heutiger Probleme kann nur in einer kollektiven Anstrengung gelingen.
Schliesslich: Wir sollten Corporate Citizenship weder ausschliesslich an Führungspersonen delegieren noch sie zu einem neuen Privileg werden lassen. Die Förderung von Mitarbeitenden in ihren gemeinnützigen Engagements wird das Zeichen einer neuen Wirtschaftsära sein. Es ist nicht nur zu prüfen, wie und ob man Schlüsselpersonen teilweise freistellen kann. Auch verlässliche Arbeitszeitmodelle und ein freier Zugang zur Firmeninfrastruktur sind geeignete Mittel.
Unternehmen können dabei nur gewinnen: In ihnen herrschen mehr Zufriedenheit, mehr Kompetenz und eine Erweiterung des Horizonts der Mitarbeitenden. Unternehmen im Anschluss an eine Krise zu positionieren, ist eine Aufgabe im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Fragen von globaler Entwicklung, Nachhaltigkeit, sozialer Integration und Bildung werden die Top-Issues sein. Klug, wer auf diesen Zug der Geschichte nicht zu spät aufspringt!
© 2009 «Bilanz»