Aus Opas Zeiten


Wenn ein mächtiger Mann sagt, was er wirklich über Frauen denkt

Der Mann, der mir an diesem Tag das Blut in den Adern gefrieren ließ, ist eine Führungskraft, wie man sie sich wünscht: Der 56-jährige Belgier Patrick de Maeseneire ist CEO des weltweit größten Arbeitgebers Adecco und damit Herr über mehr als 800.000 Mitarbeitende. Er hat in vielen Ländern gelebt, ist eloquent, selbstsicher und hat diese charmante Prise Ironie, welche die 1.400 Führungskräfte am Swiss Economic Forum in Interlaken immer wieder spontan mit Applaus und Lachen belohnten.

De Maeseneire sprach über den Wandel im globalen Arbeitsmarkt und lobte die Schweiz: Etwa das duale Bildungssystem, das maßgeblich dazu beitrage, dass wir kaum Jugendarbeitslosigkeit kennen. Oder den hohen Anteil Berufstätiger an der Gesamtbevölkerung. Er hat recht: In der Schweiz zahlen im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten immer noch mehr Menschen in das System ein, als dass sie Leistungen daraus beziehen. De Maeseneires Schlussfolgerung war eindeutig:

„Switzerland is not broken, so don’t fix it.“

Nach Tina Turner will darum auch der CEO von Adecco Schweizer werden.

Einmal davon abgesehen, dass de Maeseneire damit den Schweizern am Swiss Economic Forum schmeichelte, sprach er ein Thema an, das in der emotionalen Diskussion um soziale Gerechtigkeit, Einkommensschere und Bonuszahlungen manchmal in Vergessenheit zu geraten droht: Uns geht es allen sehr gut. Noch nie zuvor waren die Aufstiegschancen in der Schweiz – als Kind einmal mehr zu verdienen als die Eltern – so groß wie heute, dies zeigt etwa eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. Die Schweiz belegt im Ranking der sogenannten Teilhabegerechtigkeit Platz 7 unter 31 Ländern.

Der weltweite Arbeitskräftemangel betrifft aber auch die Schweiz. De Maeseneire ortet das Problem bei den Schulen, welche die zukünftigen Arbeitnehmer nicht richtig auf den Arbeitsmarkt vorbereiteten. Wo etwa sollten die vielen Geschichtsstudenten ei-nen Arbeitsplatz finden, wenn es doch nur ein paar wenige Museen gebe, fragte er das Publikum. Ich bin einverstanden, unsere Bildungsinstitutionen sollten dafür sorgen, dass sie die richtigen Werkzeuge für den späteren Beruf mitgeben. Sein Beispiel greift aber definitiv zu kurz. Rolf Soiron, ehemaliger operativer Chef von Sandoz und heutiger Verwaltungsratspräsident von Holcim, Lonza und bis vor Kurzem Nobel Biocare, hätte an dieser Aussage wohl keine Freude gehabt. Mit einem Master in Geschichtswissenschaft und einem Doktor in Philosophie gehört er zu einer Gruppe von prominenten Wirtschaftsführern, darunter Jeff Immelt, CEO von General Electric, oder James Dimon von JPMorgan Chase, die wissen, dass ein Wirtschaftsstudium kein Garant für Erfolg ist. Vielmehr braucht es in einer immer komplexeren Welt neben Know-how vor allem integrative Persönlichkeiten, welche integer, flexibel, intelligent, belastbar sind sowie langfristig denken und gut kommunizieren können.

Patrick de Maeseneire vertritt klare Meinungen, das mag ich. Und er verstand es, uns mit seiner spannenden und pointierten Rede zu fesseln. Dennoch entpuppte er sich als CEO der alten Schule. Auf die Frage des Moderators Franz Fischlin, wie er denn Arbeit, Karriere und Familie unter einen Hut bringe, was er von Life-Work-Balance halte, meinte de Maeseneire unverblümt, man könne nicht zwei Sachen gut machen. Daher habe er sich entschlossen, zu arbeiten, und dies ausschließlich für Adecco, weitere Mandate lehne er ab. Keine Freizeit zu haben ginge natürlich auf Kosten seiner Kinder, die seien trotzdem zufrieden mit ihm, weil er schließlich die Rechnungen bezahle. Und dann sagte der entfesselte CEO den Satz, der nicht nur mein Blut in den Adern gefrieren ließ. Er meinte, dass Mütter sowieso die besseren Erzieherinnen seien und deshalb – ganz nach dem Motto: In der Konzentration liegt der Erfolg – zu Hause bleiben sollen.

Ich weiß nicht, wie viele der über 800.000 Teilzeitmitarbeiter von Adecco berufstätige Mütter sind, ich weiß aber, dass an den Universitäten heute über 50 Prozent Frauen studieren – und das nicht nur in den sogenannten weichen Fächern. Sie sind auch in Studienrichtungen wie Biologie, Lebensmittelwissenschaften oder Medizin bereits in der Mehrzahl. Je höher die Ausbildung, desto sicherer werde man in Zukunft einen Arbeitsplatz haben, hatte de Maeseneire noch zehn Minuten vor seinem Statement aus Opas Zeiten gesagt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – so meint Bundesrat Schneider-Ammann – sei volkswirtschaftlich zentral. Fürwahr: Die Wirtschaft ist auf gut ausgebildete Frauen angewiesen.

Als künftiger Schweizer und Chef des größten Personaldienstleistungsunternehmens der Welt rate ich de Maeseneire, flexibel zu sein und sich den Realitäten anzupassen. Er sagt selber, Flexibilität sei die wichtigste Fähigkeit, welche man heute als Arbeitnehmer mitbringen müsse. Nun muss der Chef nur noch vorleben, was er selbst verkündet.