Vereinbarkeit Beruf und Familie

Charlotte Jacquemart – Gleichstellung: Plötzlich geht’s vorwärts



Eine Zertifizierung, made in Switzerland, verhilft der Gleichstellungsdebatte zu einem Quantensprung. L’Oréal ist die erste US-Firma, die sich auszeichnen lässt.


«It’s all white men», beklagte sich Jonas Kron, Direktor des USFonds Trillium Asset Management, unlängst. Kron meinte die Apple-Führungsspitze. Der Investor fordert offen mehr Frauen. Aus gutem Grund: Gemischte Teams sind erfolgreicher (siehe Kasten). Eine wachsende Zahl an Firmen ist sich bewusst, dass die Geduld der Investoren zu Ende geht. Zu ihnen gehört L’Oréal: Der Kosmetika-Riese hat soeben als erster US-Konzern die EDGE-Zertifizierung ergattert.


EDGE steht für «Economic Dividends for Gender Equality». Das Label honoriert Anstrengungen und Erfolge von Unternehmen bei der Geschlechtergleichstellung. Aktuell sind sechs Firmen zertifiziert, darunter drei Schweizer: Ikea Schweiz, Deloitte Schweiz und Lombard Odier. Weltweit sind über 60 weitere grosse, multinationale Firmen im Prozess der Zertifizierung. Multinationals sind besonders scharf auf das globale Label, weil sie sich so nicht in allen Ländern, wo sie tätig sind, mit nationalen Gender- Forderungen oder gar Gesetzen konfrontiert sehen.


Für Harvard-Professorin und CS-Verwaltungsrätin Iris Bohnet ist die EDGE-Zertifizierung ein Meilenstein auf dem Weg zur Gleichstellung in der Wirtschaft. Bohnet hat als Wissenschafterin mitgeholfen, die Methodologie auszuarbeiten. Sie sagt: «Der Gender-Gap vermindert die Produktivität. EDGE hilft Firmen, entsprechende Defizite zu entdecken und auszumerzen.»


Hinter der Initiative, deren Idee am WEF entstanden ist, stehen Nicole Schwab und Aniela Unguresan. 2009 sind sie gestartet, 2013 wurden die ersten Firmen zertifiziert. Unguresan umreisst Ziel und Existenzberechtigung des Labels: «Zum einen verlangen Investoren gemischte Führungsteams, weil diese bessere Resultate erzielen.» Druck gehe aber auch vom Arbeitsmarkt aus, sagt Unguresan: «Wer heute als Firma gute Leute rekrutieren will, die einem treu bleiben, muss ein Umfeld bieten, in dem alle gleichberechtigten Zugang zu allen Positionen haben.» Für die Zertifizierung werden fünf Dinge geprüft: Lohngleichheit, wie Frauen und Männer eingestellt und befördert werden, ob alle den gleichen Zugang haben zu Weiterbildung, Leadership-Kursen und finanzieller Unterstützung dafür, wie flexibel die Arbeitsbedingungen sind und die allgemeine Unternehmenskultur. Vergeben werden drei Label-Stufen, eine unabhängige Audit-Firma entscheidet darüber. Grundlage dafür ist statistisches Zahlenmaterial der Firma, existierende Arbeitsbedingungen und eine Befragung der Mitarbeiter. Unguresan sagt: «Der Prozess gibt Firmen eine objektive Sicht darauf, wo man in Sachen Gleichstellung steht.» Jedes zweite Jahr wird die Re-Zertifizierung fällig. Wie ausgeklügelt die Methodologie ist, illustriert Unguresan anhand eines Beispiels: «Wir bewerten, ob Frauen, die nach einem Mutterschaftsurlaub zurückkehren, länger als ein Jahr bleiben. Wenn nicht, liegt es oft daran, dass eine Firma für die Vereinbarung von Familie und Karriere nicht genug Unterstützung bietet.»


Ikea Schweiz gehört zu den Pionieren der Zertifizierten. David Affentranger, Sprecher von Ikea Schweiz, ordnet das neue Label ein. «Der Prozess der Zertifizierung erlaubt, den Erfolg der Gleichstellung zu messen. Das ist enorm wichtig, denn nur so ist sichergestellt, dass sich Firmen nicht hinter Absichtserklärungen verstecken können.» Bei Ikea versteht man nicht, wieso sich Unternehmen in der Schweiz dermassen schwertun mit dem Thema «Frauen». «Als Firma mit skandinavischen Wurzeln ist Gleichberechtigung in unserer DNA.» Von den 3000 Mitarbeitern von Ikea Schweiz sind 60% Frauen, im Topmanagement und in der Geschäftsleitung ist je die Hälfte weiblich. «Gleichberechtigter Zugang zu allen Positionen und Lohngleichheit ist eine Frage der Unternehmenskultur», sagt Affentranger. Ikea setzt auf Frauen – und ist enorm erfolgreich. Umsatz und Kundenzahl steigen seit 2000 unentwegt.


Wer einmal bei EDGE dabei ist, muss liefern. Lombard Odier hat Level eins erreicht. Im männlich geprägten Umfeld des Private Banking hat es die Bank 2014 geschafft, je nach Kaderstufe zwischen 20 und 40% Frauen zu befördern. Olivier Deslandes, Personalchef der Bank, sagt: «EDGE im Hause zu haben, öffnet uns die Augen für das, was wir besser machen können.» Beim Berater Deloitte tönt es ähnlich. Unter den Beförderten 2014 befänden sich 36% Frauen, mehr als je zuvor. Dass es auch ohne EDGESchub ginge, wenn man nur will, zeigt Axa. Der Versicherer setzt schon seit 2008 auf Diversität. Aus Überzeugung, wie die Verantwortliche Yvonne Seitz sagt, «weil es nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist». Die Zahlen sprechen für sich: Nicht nur der Anteil Frauen ist auf allen Hierarchiestufen markant gestiegen, sondern auch jener der Teilzeit arbeitenden Männer.



Mit freundlicher Genehmigung der NZZ am Sonntag.


Ch., Jacquemart. (2014).

Gleichstellung: Plötzlich geht’s vorwärts.

NZZ am Sonntag am 14. September 2014.