Eine Begegnung mit der Investorin und Philanthropin Carolina Müller-Möhl
Sie ist eine der wohlhabendsten Schweizerinnen, einflussreiche Investorin und engagierte Philanthropin. Die 44-Jährige über Geld und Rendite, soziale Gerechtigkeit und Aha-Erlebnisse in der Antarktis.
Auch ich bin – obwohl blond – auf die Frage gestossen: Ist der Mensch von Natur aus gut?» Das Publikum lacht. Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt, die Luft leicht ranzig. Carolina Müller-Möhl hält einen Vortrag am Wirtschaftssymposium Aargau. CMM – so ihr Kürzel – referiert über Social Investment («Nicht zu verwechseln mit Charity!») und zitiert Max Frisch («Vernünftig ist, was rentiert»). Ein Zuhörer brummt immer wieder «richtig, richtig»; und sein Nachbar raunt: «Ist nicht der Mann von der mit dem Flugzeug abgestürzt?» In ihrem grauen Costume wirkt Carolina Müller-Möhl etwas farblos. Sie ist keine Entertainerin. Dafür liest sie zu stark vom Skript ab, dafür ist sie zu differenziert. Sie sucht auch keine Lacher – der Witz mit dem Blondinenklischee bleibt ihr einziger. Was zählt, ist der Inhalt.
Einige Wochen später im Büro von Carolina Müller-Möhl. Wir sitzen auf einem hellbraunen Ledersofa und trinken einen Kaffee Crème. An der Wand hängen Fotografien von Bruce Nauman, auf denen der Künstler Grimassen schneidet. Vom riesigen Büro blickt man auf die Altstadt Zürichs und die Limmat. Unten im Haus, in dem schon Mozart, Casanova und auch das kantonale Steueramt logierten, ist die Boutique von Dolce & Gabbana. Dafür, dass Carolina Müller-Möhl laut Schätzungen von «Bilanz» die fünftreichste Frau der Schweiz ist, mit einem Vermögen von 600 bis 700 Millionen, wirkt sie unglaublich normal. Entspannt. Richtig locker sogar. Nach ihrem Vortrag in Aarau hatte ich mehr Unnahbarkeit erwartet. Stattdessen schwatzt sie über so banale Dinge wie Nagelstudios (sie trägt schwarzen Lack) und schwelgt in Erinnerungen an Berlin, wo sie Politik studiert hat.
Charmant plaudern
Carolina Müller-Möhl erkundigt sich nach meinem Dialekt und meint, vom Thurgau kenne sie vor allem Gachnang. Ihr verstorbener Mann stammte von dort, und sie liess vor drei Jahren die alte Schlosskapelle renovieren, in der die beiden geheiratet hatten. Irgendwie kommen wir auf Bücher zu sprechen, worauf sie aufspringt, zum Pult geht und mit einem Berg Fachliteratur – Daniel Kahneman, Dan Ariely – zurückkommt. Sie sagt, sie arbeite viel mit dem Verhaltensökonomen Ernst Fehr von der Uni Zürich zusammen. Dieses Fach finde sie spannend: «Die Schnittstelle zwischen Mensch, Psychologie und Ökonomie fasziniert mich.» Wer hätte gedacht, dass man so charmant mit Carolina Müller-Möhl plaudern kann!
Die Vorgeschichte dieses Porträts verlief eher zäh. Fast ein Jahr und diverse Terminverschiebungen später klappte es doch noch. Eigentlich hätte ich sie gern zuhause besucht, doch sie meinte: «Sie wollen etwas über mich erfahren? Kommen Sie in mein Büro.» Hier verbringe sie die meiste Zeit – «ich, auf diesem Stuhl, vor diesem Tisch». Auch kam die Auflage, es dürften keine Fragen zu ihrem Privatleben gestellt werden. Insbesondere nicht zum Tod ihres Mannes vor 13 Jahren. Darüber habe sie schon genug Auskunft gegeben. Man kann ihr die Skepsis gegenüber den Medien nicht verübeln: Ihr wurden schon Schwangerschaften angedichtet, und ein Journalist fragte sie, was genau sie in ihrem Büro tue und ob es ihr nichts ausmache, ihren Sohn zu vernachlässigen.
Lieber wolle CMM, verkündete die Assistentin, über ihre neue Stiftung – die Müller-Möhl Foundation – reden. «All meine gesellschaftspolitischen Überzeugungen fliessen da ein», sagt sie. Die Themen: Bildung, Gender Diversity und die Förderung des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Nun gut.
ANNABELLE: Carolina Müller-Möhl, Sie haben sich gegen die Abzockerinitiative engagiert, für den Familienartikel und für die Initiative zur Aufhebung der Trennung von Kindergarten und erster Schulklasse. Irgendwie ungewöhnlich, dass sich eine Investorin politisch so stark aus dem Fenster lehnt.
CAROLINA MÜLLER-MÖHL: Finden Sie? Politik zog mich schon immer an: Ich war Schulsprecherin im Internat, sass im Schülerparlament und habe einen Master in Politischen Wissenschaften. Das Leben ist doch politisch! Ich hoffe zumindest, dass die meisten Menschen eine politische Meinung haben, ja generell eine Meinung. Ohne eine Haltung durchs Leben zu gehen, das finde ich schwierig.
Die tiefe Stimmbeteiligung zeigt aber: Das Desinteresse an der Politik ist Realität.
Ja, das frustriert mich. Wenn wir apolitisch werden in der Schweiz, dann haben wir ein Problem. Gerade in der direkten Demokratie geht es doch um die Meinung jedes Einzelnen.
In einer Kolumne gegen die Abzockerinitiative haben Sie mehr Mittel für die frühkindliche Bildung gefordert, um einen Wertewandel zu erwirken. Das tönt sehr philosophisch – und wenig effizient.
Haben Sie für die Initiative gestimmt?
Ja.
Warum?
Ich wollte ein Zeichen setzen gegen Manager, die ihren Hals nicht vollkriegen.
Fürs Protokoll: Ich bin absolut gegen diese hohen Bonuszahlungen. Und ja, die Wut in der Bevölkerung muss man ernst nehmen. Tatsächlich setze ich aber auf langfristige Massnahmen. Da wir ja hoffentlich in zwanzig Jahren noch hier sind, macht das für mich Sinn.
Wie zeigen Sie denn konkret, dass Sie diesen Unmut ernst nehmen?
Schöne Worte kosten ja nichts. Kennen Sie den Begriff Giving Pledge?
Äh, nein.
Giving Pledge ist eine Initiative von Bill Gates und Warren Buffett. Sie wollen besonders wohlhabende Menschen dazu bringen, mindestens fünfzig Prozent ihres Vermögens zu spenden. Ich würde die Idee gern auf die Schweiz anwenden: Wie wäre es, eine Gruppe von Managern zusammenzubringen, die einen Teil ihres Einkommens einer Stiftung geben? An dieser Idee kaue ich momentan herum.
Das geht in Richtung Social Investments. Sie haben bei Ihrem Referat in Aarau die Credit Suisse erwähnt, die einen Preis für Schweizer Schulen unterstützt. Ich finde dieses Engagement seltsam. Da geht es doch um die Kundenbindung von Kindern!
Jesses Gott, definitiv nicht! Kennen Sie Urs Rohner, den VR-Präsidenten der CS?
Nicht persönlich.
Ich kenne ihn gut und bin der felsenfesten Überzeugung, dass er daran glaubt, dass die Schweiz gute Schulen braucht. Abgesehen davon stört mich diese momentan ziemlich salonfähige Haltung, dass alles a priori schlecht sein soll, was von einem Unternehmen kommt. Sie schaffen Arbeitsplätze, tragen zum Wirtschaftswachstum bei, zahlen Steuern. Wo stünde denn die Schweiz ohne Unternehmen und Unternehmer? Wir wären weder ein blühender Wirtschaftsstandort noch eine funktionierende Demokratie. Wie sieht denn Ihr Gesellschaftsmodell aus?
Was für eine Frage!
Haben Sie vom Thurgauer Industriellen Daniel Model gehört, der seinen eigenen Staat ausgerufen hat? Das finde ich ein interessantes Projekt. Mit dem sollten wir zwei uns mal treffen.
Die Wangen von Carolina Müller-Möhl sind leicht gerötet. Sie liebt Debatten und ist mit vollem Einsatz dabei. Jetzt aber sagt sie: «Ich habe Hunger. Wollen wir etwas essen gehen?» Sie wirft ihre schwarze Moncler-Jacke über. Ihre Assistentin hat einen Tisch reserviert im Hotel Storchen, gleich gegenüber. Carolina Müller-Möhl sagt, sie hole oft irgendwo einen Salat, einen Hotdog oder einen Kebap und esse dann im Büro. «Für mehr fehlt mir meistens die Zeit.»
Im «Storchen» begrüssen sie alle mit Namen. Carolina Müller-Möhl bestellt Tatar, «die kleine Portion, aber gern scharf». Die Philanthropie ist ihr grosses Ding. Einen Gastbeitrag in der NZZ zeichnete sie sogar mit «Carolina Müller-Möhl, Investorin und Philanthropin». Tue Gutes und sprich darüber, so lautet ihr – für die Schweiz ungewöhnliches – Credo. Sie sagt: «Es gibt hierzulande zwar rund 12 000 Stiftungen mit einem Kapital von etwa 80 Milliarden, aber wir reden nicht darüber.» In der Schweiz herrsche eben eine Neidkultur. Sie hingegen findet: Man muss darüber reden, Position beziehen, die Öffentlichkeit informieren. Mit ihrer neuen Stiftung hat sie bisher nur Projekte in der Schweiz unterstützt. Es gehe ihr «explizit nicht nur um Geld, sondern auch um das Anbieten von Netzwerken und Knowhow». Ihr Geld einfach irgendwohin schicken, sagt sie, das käme ihr nicht im Traum in den Sinn. Nur leider habe sie «nicht so viele Assets zur Verfügung » wie ihre Vorbilder Bill und Melinda Gates.
Das könnten wir challengen
Sie benutzt oft englische Wörter, sagt «Das würde ich anytime wieder tun» oder «Das könnten wir challengen». Wie aber finanziert sie das alles? Zum einen ist sie eine begehrte Verwaltungsrätin: Die Liste ihrer Mandate reicht von der NZZ über die Holding des ägyptischen Andermatt-Investors Samih Sawiris bis zur Stiftung des Zürcher Zoos. Zum anderen – ihre eigentliche Haupttätigkeit – verwaltet sie das Familienvermögen. Sie sei eine langfristig orientierte Anlegerin, sagt sie. Anders als ihr verstorbener Mann, der das Risiko liebte: Er hinterliess ihr ein Portfolio aus risikoreichen Investitionen und Schulden, das nach dem Platzen der Internetblase noch etwa 300 Millionen wert war.
Carolina Müller-Möhl restrukturierte das Portfolio und überstand die jüngste Finanzkrise ohne Schaden, da sie hohe Cashpositionen aufgebaut hatte – «guter Schachzug», urteilte «Bilanz». Als Investorin beweist Carolina Müller-Möhl eine gute Nase. Dabei war ihr Einstieg ins Unternehmertum alles andere als leicht. Zur Überraschung vieler übernahm sie, die vorher nichts mit Finanzen zu tun gehabt hatte, nach dem Tod ihres Mannes die Geschäfte. Fast niemand nahm sie ernst, sie wurde als Leichtgewicht und Quotenfrau bezeichnet, selbst dann noch, als sie, das war 2004, in den Verwaltungsrat von Nestlé gewählt wurde, ein Mandat erster Güte. Bis heute polarisiert sie. «Für die einen », schrieb «Bilanz», ist sie eine starke Investorin, für andere eine überschätzte Vorzeigefrau.» Womit wir bei einem ihrer Lieblingsthemen wären.
Sie setzen sich dafür ein, dass das Potenzial gut ausgebildeter Frauen in der Wirtschaft besser genutzt wird. Warum sind Sie dann gegen die Frauenquote?
Als überzeugte Liberale habe ich Mühe mit einer staatlich verordneten Quote.
Aber Sie wollen doch auch, dass mehr Frauen auf dem Chefsessel sitzen!
Und wie! Ich habe ja Verständnis dafür, dass es manchen Frauen reicht. Aber es braucht eben auch die richtigen Rahmenbedingungen, damit Familie und Beruf besser vereinbar sind – bezahlbare Betreuungsangebote, flexible Arbeitszeiten, Steuererleichterungen für berufstätige Eltern. Darum habe ich zum Beispiel den Familienartikel unterstützt.
Der grosse Ökonom John Maynard Keynes sagte: «Langfristig sind wir alle tot.» Was bewirken Sie kurzfristig?
Nun, ich bin fast schon penetrant. Ich schreibe Kolumnen, halte Vorträge, bin an unzähligen Sitzungen und unterstütze Frauennetzwerke und Organisationen von Jungunternehmerinnen. Mit anderen Worten, ich halte die Diskussion um die Frauenförderung am Köcheln, damit der Druck auf die Unternehmen hoch bleibt.
Sexismus war in letzter Zeit ein Medienthema. Ist eine Frau, die so viel Geld hat, davon betroffen?
Offenen Sexismus habe ich noch nie erlebt. Soll ich jetzt beleidigt sein? (lacht) Stereotypes Verhalten hingegen, dem bin auch ich immer wieder mal ausgesetzt.
Zum Beispiel?
Einmal hatte ich Vertreter einer Firma aus den USA zu Besuch. Die drei Herren sassen im Sitzungszimmer. Ich trat ein, worauf einer rief, in der Annahme, ich sei die Sekretärin: «Great! Jetzt können wir endlich Kaffee bestellen!» Ich: «Sure, wie möchten Sie ihn?», ging wieder raus, holte den Kaffee, stellte ihn auf den Tisch und sagte: «Okay, legen wir los!» Da herrschte erst mal betretenes Schweigen.
So konkret wird Carolina Müller-Möhl selten. Oft weicht sie aus oder antwortet mit einer Gegenfrage. Zwar diskutiert sie lebhaft und fröhlich und wird einem auch richtig sympathisch, doch irgendwie flutscht sie einem immer wieder zwischen den Fingern hindurch wie ein Fisch. Sie bleibt in ihren Aussagen so, wie sie auch ihr Geld anlegt: vorsichtig. Trotzdem kann man mit ihr über alles Mögliche reden, da gibt es keine Überheblichkeit. Nie aber ist ihre Begeisterung grösser als beim Thema Reisen. Sie ruft «Eine Weltreise, das wärs!» und schwärmt von ihrer Antarktis-Expedition, die Al Gore und Richard Branson im Rahmen ihres Klimaprojekts organisiert hatten. «Natur, spannende Menschen, und man lernt erst noch etwas dabei – so mag ich es.»
Das Blackberry klingelt. Es ist ihre Assistentin. «Ja, ich weiss, danke», sagt Carolina Müller-Möhl. Wir sind schon seit fast drei Stunden am Reden. «Übers Reisen könnte ich ewig schwatzen. Oder wie wir diesen neuen Staat bauen wollen», zwinkert sie. Aber sie habe eine Sitzung, sie müsse los. Draussen läuft sie an den wartenden Taxis vorbei, löst ein Trambillett und steigt in das Tram 4 Richtung See.