Eine Frau für alle Fälle
Sie ist eine feste Grösse in der Schweizer Wirtschaft: Carolina Müller-Möhl. Die gebürtige Zürcherin über ihr Engagement als Philanthropin, den Nutzen einer Individualbesteuerung und Frauen in Managementpositionen.
Carolina Müller-Möhl, wie würden Sie eine moderne Frau beschreiben?
Eine moderne Frau nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Sie agiert selbstverantwortlich und geht eigenverantwortlich ihren Weg. Hierfür braucht es grundsätzlich einmal Mut, vor allem wenn man dabei althergebrachte Rollenverteilungen neu definiert und dafür einsteht. Es braucht aber auch Mut, den hohen Erwartungen der Gesellschaft, wie auch den eigenen Erwartungen nicht immer in aller Perfektion entsprechen zu wollen. Umfragen zeigen: Die implizierten Erwartungen an die Frau von Heute sind ungemein grösser als beim Mann. Deshalb braucht es viele mutige Frauen, die sich gegenseitig unterstützen. Übrigens: Moderne Männer braucht es auch. Wir müssen uns für ihre modernen und alternativen Lebensentwürfe stark machen. Ich denke da zum Beispiel an den Vater, der den Mut hat, sein Pensum zu reduzieren, um mit seiner Partnerin zusammen die Kinder zu betreuen.
Sie sind Unternehmerin, Philanthropin und alleinerziehende Mutter. Daneben sind Sie in über einem Dutzend Verwaltungs-, Stiftungs- und Beiräten tätig. Wie schaffen Sie es, all dies unter einen Hut zu bringen?
Ich schaffe das, weil ich es schaffen will! Natürlich braucht es zudem ein gutes Zeitmanagement und ein Team, das mich bei den vielen Arbeiten tatkräftig unterstützt.
Die Männer dominieren die Chefetagen der Schweizer Wirtschaft. Der Frauenanteil beträgt gemäss diesjährigem «Schilling-Report» nur sieben Prozent und ist im Vergleich zum Vorjahr sogar um einen Prozentpunkt gesunken. Woran liegt das?
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in der Schweiz noch nicht gewährleistet. Das zeigt sich auch daran, dass der Frauenanteil in den Verwaltungsräten erheblich höher ist als in den Geschäftsleitungen. Warum? Weil sich Verwaltungsratsmandate im Teilzeitpensum meistern lassen. Auf Geschäftsleitungsebene ist aber in der Regel ein Pensum von 100 Prozent vorgegeben. Da verlieren wir leider viele qualifizierte Frauen, vor allem Mütter, die nicht Karriere machen können, solange die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Was wir brauchen: bezahlbare Kinderkrippen, Ganztagesbetreuungsangebote, gezielte Frauenförderung in den Unternehmen, flexible Arbeitszeiten, gesellschaftliche Akzeptanz von Berufsmüttern und bessere steuerrechtliche Rahmenbedingungen für Familien. Zusätzlich braucht es natürlich mutige Frauen.
Sie sind der lebende Beweis dafür, dass es Frauen doch in die Chefetagen schaffen. Was machen Sie anders als andere Frauen?
So eine Exotin bin ich zum Glück heute auch nicht mehr! Es hat einige erfolgreiche Frauen in den Schweizer Chefetagen und ich mache es nicht anders als sie: Ich mute es mir zu, ich bin leistungsorientiert, habe Durchhaltewillen und die Bereitschaft, täglich dazuzulernen. Ich habe mein Unternehmen selbst gegründet und meine nationalen und internationalen Mandate wurden mir anvertraut, weil meine Gruppe erfolgreich ist. Wohl auch weil ich dort meinen Unternehmergeist frei walten lassen kann.
2012 haben Sie die Müller-Möhl Foundation ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Ich war bereits vor dem Jahr 2012 philanthropisch tätig. Dann wollte ich aber meine verschiedenen Engagements unter ein Dach fassen. Ich habe mich für die Gründung einer Stiftung entschieden. Wichtig dabei ist mir, dass die Stiftung nicht zu einem bürokratischen Monster mutiert. Wir haben in den bisher sechs Jahren eine Organisation aufgebaut, die sportlich, flexibel und agil auf wichtige gesellschaftliche Themen schnell und kompetent reagieren kann. Einerseits konnte ich mit den Themen «Bildung», «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» sowie «Förderung des Wirtschaftsstandortes Schweiz» und «Philanthropie im Allgemeinen» mein bisheriges Engagement in die Stiftungsarbeit überführen. Andererseits hat sich bestätigt, dass unsere Themen sehr wichtig für eine zukunftsfähige Schweiz sind.
Sie sprechen sich offen gegen eine gesetzlich festgelegte Frauenquote aus, befürworten jedoch eine Quote als Richtlinie auf Unternehmensebene. Wieso?
Ich vertrete eine liberale Sicht, das heisst, gesetzliche Regelungen sollten im Markt mit Bedacht eingesetzt werden. Meine Hoffnung ist, dass sich in den Unternehmen, in der Politik und in anderen Organisationen durchsetzt, was wissenschaftlich schon lange bewiesen ist: Gemischte Teams arbeiten besser zusammen – auch auf den höheren Etagen – und sie bringen ihrem Unternehmen mehr wirtschaftlichen Erfolg. Wenn sich Unternehmen für ihren eigenen Fortschritt einsetzen, indem sie auf interne Quoten setzen: umso besser!
Kritiker einer Frauenquote geben zu bedenken, dass dadurch vermehrt minderqualifizierte Arbeitnehmerinnen eingestellt würden, um die Quote zu erfüllen. Was meinen Sie dazu?
Wenn in allen Industrien nur um der Quote Willen eingestellt würde, dann könnten sich diese Bedenken bewahrheiten. In den meisten Fällen aber bin ich überzeugt: Es gibt bestens qualifizierte Frauen. Wenn behauptet wird, es gäbe keine Frau für die entsprechende Position oder wenn Frauen im Unternehmen nicht befördert werden, dann sind oft unbewusste Vorurteile im Spiel. Wie man diese Vorurteile erkennen und überlisten kann, zeigt Professor Iris Bohnet eindrücklich in ihrem Buch «What works».
Sie unterstützen eine Individualbesteuerung klar, im Parlament ist man sich jedoch uneinig. Erklären Sie kurz, was Sie an der Vorlage überzeugt.
Dem heutigen Steuersystem in der Schweiz fehlt die Weitsicht. Es ist angelegt auf eine kurze Lebensphase mit zu betreuenden Kleinkindern und auf eine Rollenteilung des letzten Jahrhunderts: Schon damals waren die Anreize so gesetzt, dass die Frauen nach der Heirat aus dem Arbeitsmarkt austraten. Bis heute macht unser Steuerregime das Arbeiten, insbesondere für gut und teuer ausgebildete Frauen oder Zweitverdienende, sehr unattraktiv. Denn die gemeinsame Steuerveranlagung führt in eine überproportional hohe Progression. Der Staat lässt das zusätzliche Einkommen der Frauen durch die hohe Versteuerung und die Kosten, die für die familienexterne Kinderbetreuung anfallen, nahezu verschwinden. Das ist doch absurd! Insbesondere angesichts des Fachkräftemangels, dem Wunsch der Wirtschaft nach stetiger Produktivitätssteigerung und dem gesetzlichen Auftrag nach einer effektiven Gleichstellung, können wir es uns nicht leisten, weiterhin auf die vielen hochqualifizierten Frauen im Arbeitsmarkt zu verzichten. Es ist volks wirtschaftlicher Unsinn: Die Gesellschaft investiert viel Geld in lange Ausbildungszeiten von Frauen und via Steuerbescheid teilt sie ihnen mit: «Arbeiten lohnt sich nicht für Euch!» Das ist ungerecht und zutiefst untypisch im Innovations- und Wirtschaftsland Schweiz.
Viele Frauen wollen kontinuierlich arbeiten, andere wollen nach einer Familienpause und wenn die Kinder aus dem Haus sind wieder beruflich einsteigen oder ihre Teilzeitpensen erhöhen. Dabei müssen wir sie unterstützen und dafür braucht es eine Besteuerung, die für das ganze Leben taugt. Ein Steuersystem ist nötig, das keine Bestrafungen beinhaltet, sondern zum Arbeiten motiviert. Die Müller-Möhl Foundation hat letztes Jahr eine unabhängige, fundierte wissenschaftliche Studie in Auftrag geben. Diese Studie zeigt, dass sich die Einführung der Individualbesteuerung positiv auf die Partizipation von Frauen im Arbeitsmarkt auswirkt. Die vorläufigen Ergebnisse besagen: Die Individualbesteuerung lohnt sich für die Schweizerinnen und Schweizer!
Nun hat der Bundesrat jüngst einen Alternativvorschlag eingereicht. Dieser sieht vor, das steuerbare Einkommen von Ehepartnern auf zwei unterschiedliche Arten zu berechnen und den kleineren der beiden Werte zu belasten. Was halten Sie davon?
Leider nicht sehr viel. Denn laut dem Vorschlag könnte jedes Paar Jahr für Jahr neu wählen, ob es gemeinsam oder lieber individuell besteuert werden möchte. Das ist erstens viel zu kostspielig, weil – wie gesagt – jedes Jahr wieder neu veranlagt werden kann. Und zweitens werden die Stellschrauben im Vorschlag so gestellt, dass die Arbeitsmotivation des Zweitverdienenden noch mehr sinkt. Da ist der Status quo besser als der neue Vorschlag des Bundesrates. Unsere Studie hingegen zeigt, erstens: Eine Individualbesteuerung ist kostengünstiger als der Vorschlag des Bundesrates. Und zweitens: Die Individualbesteuerung schafft Erwerbsanreize!
Was sind Ihrer Meinung nach die nötigen Schritte, die von der Politik, den Unternehmen und der Gesellschaft in Zukunft getätigt werden müssen, um die Gleichstellung von Mann und Frau langfristig zu gewährleisten?
Wir müssen uns in erster Linie darüber bewusst sein, dass es alle braucht. Die Frauen, die Unternehmer, Politik, Gesellschaft und die Medien. Nur gemeinsam erreichen wir das Ziel. Zudem ist neben einer Steuerreform ein ganzes Massnahmen-Paket vonnöten, auf das ich bereits hingewiesen habe: Es braucht eine bedarfsgerechte und bezahlbare Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten auf allen Ebenen und einen Wandel in der Geschlechter- und Rollenwahrnehmung. In diesen Punkten sind wir in der Schweiz immer noch Entwicklungsland.
Wenn Sie Ihr Leben nochmals von vorne anfangen könnten, würden Sie etwas anders machen?
Nein, sonst bestünde ja ein gewisses Risiko, dass es nicht zu unserem interessanten Interview gekommen wäre (lacht). In die Zukunft blickend habe ich aus den gesammelten Erfahrungen, den positiven und negativen, gelernt und werde gewisse Dinge in der Zukunft anders anpacken.
«50 ist die neue 30», titelte die «Welt». Kürzlich feierten auch Sie Ihren 50. Geburtstag – Grund zur Freude?
Ja! Ich habe bisher schon sehr viel gesehen, erlebt und erreicht. Mit 50 Jahren habe ich darum für einen Moment inne gehalten und mich gefragt: Wo kann ich am besten weiterlernen, mich weiterentwickeln und wo ist mein Beitrag in den kommenden Jahren am sinnvollsten? Inspirationen zur Beantwortung dieser Frage habe ich an meinem Geburtstag erhalten, wo es in einer Rede hiess: Die Reife beginnt mit der Fähigkeit, sich die eigene Verrücktheit einzugestehen. Und die Rede endete mit Frank Sinatras Song: «the best is yet to come».
Das Interview ist in der Ausgabe vom 29.01.2019 des Tagesanzeigers als Beilage (FOKUS MODERNE FRAU) erschienen.