Liebe Männer
Ellen Ringier über die Gründe, warum sich viel zu wenig Frauen in der Politik engagieren. Und was männliche Arbeitgeber jetzt tun müssen.
Zwei Rechenaufgaben:
1.
Wenn derzeit 5 Männer und 2 Frauen im Bundesrat, 39 Männer und 7 Frauen im Ständerat, 140 Männer und 60 Frauen im Nationalrat vertreten sind, wie viele Frauen gestalten auf nationaler Ebene unsere Politik?
Richtige Antwort: 69 Frauen.
2.
Wenn 51% der Gesamtbevölkerung Frauen und Mädchen sind, wie viele nationale Sitze müssten von Politikerinnen besetzt sein, damit weibliche Bürger paritätisch vertreten wären?
Richtige Antwort: 129 Sitze.
Was auf den ersten Blick einfach erscheinen mag, nämlich die statistisch fehlenden 60 (!) Frauen zu rekrutieren, ist in Wirklichkeit etwa gleich schwierig, wie eine Nationalmannschaft in einem Sport zusammenzustellen, der in der Bevölkerung kaum gespielt wird. Oder anders gesagt: Es engagieren sich viel zu wenige Frauen in der politischen Arbeit an der Basis, in den Gemeinden und auf Kantonsebene, um aus einer genügenden Anzahl geeigneter und politisch erfahrener Kandidatinnen für die Arbeit auf Bundesebene rekrutieren zu können.
Die Frauenvertretung in der Schweiz obliegt dem parteiunabhängigen Verband Alliance F. Zusammen mit der Jugendbewegung Operation Libero sollen die Frauen der Schweiz motiviert werden, sich im politischen Prozess einzubringen. Und damit ist nicht nur das Wählen gemeint, sondern insbesondere das Sich-zur-Wahl-Stellen! Ich erkenne darin den Willen, durch die verbesserte Repräsentanz der Frauen die Demokratie zu stärken. Dazu kann man die Organisatorinnen der Wahlkampagne nur beglückwünschen. Was steht der guten und eigentlich recht naheliegenden Idee entgegen? Hoffentlich nicht die Männer! Werden sie endlich das Postulat an den Urnen unseres Landes unterstützen, flächendeckend Ganztagesschulen mit nachschulischer Betreuung einzurichten, damit Frauen zeitlich entlastet werden? Werden die Arbeitgeber bei der Gewährung einer echten Elternzeit mit freier Wahl, wer wann und wie viel Elternzeit bezieht, wie sie in den meisten entwickelten Ländern gewährt wird, mitmachen? Die meiste Zeit meines Lebens wurden in den Betrieben jedes Jahr Soldaten und Offiziere für den Wehrdienst freigestellt, wochenlang wie im Falle meines Vaters, eines Oberstleutnants. Ich zähle darauf, dass die männlichen Unternehmer meine Einschätzung teilen, wonach die Stärkung der Demokratie durch die Partizipation von Frauen mindestens so wichtig ist wie die Wehrhaftigkeit unseres Landes.
Vor vielen Jahren musste ich die Einladung der Kantonalpräsidentin einer Partei ausschlagen, mich zur Wahl in den Nationalrat zu stellen: Die Aussicht für eine berufstätige Mutter, unzählige Abende statt beim Znacht mit den Kindern an Sitzungen zu verbringen, schien mir wenig verlockend. Und daher ein letztes, speziell an die männlichen Arbeitgeber gerichtetes Postulat: Gebt den Milizpolitikerinnen und -politikern die Arbeitszeit frei, um dem Politbetrieb die Arbeit zur Tageszeit zu ermöglichen!
Liebe Alliance F, liebe Operation Libero: Wir Frauen würden ja gerne unseren Teil der Verantwortung am Geschick unserer Gemeinde, unseres Kantons und unseres Landes übernehmen. Aber zu unseren Bedingungen!
Der Beitrag ist am 5. November im Schweizer Elternmagazin
Fritz+ Fränzi
erschienen.