Medienpräsenz als Gratwanderung
Von Carolina Müller-Möhl
Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte heute gerne über meine Schwangerschaft sprechen … Nein, natürlich nicht über die Zeit, als ich meinen Sohn Elias erwartete. Sondern über jene Schwangerschaft, über welche die Wirtschaftszeitung Cash berichtet hat. Gelesen hatte ich den Artikel zunächst nicht. Aber nach verschiedenen besorgt-verärgerten Anrufen aus der Familie, von Freunden und Bekannten, warum sie denn das freudige Ereignis aus der Zeitung erfahren müssten, habe ich den Beitrag dann doch konsumiert – und zu meiner nicht eben kleinen Überraschung gelesen, ich sei wieder schwanger. In solchen Situationen, meine Damen und Herren, kann man durchaus in Selbstzweifel verfallen … Nun, offenbar hat sich Cash die Sache mit meiner Schwangerschaft nochmals überlegt und eine Woche später das Gegenteil gemeldet.
Vor dem Hintergrund dieser kleinen, aber leider durchaus wahren Geschichte mögen Sie verstehen, warum ich mein heutiges Referat unter dem Titel “Medienpräsenz als Gratwanderung” gesetzt und mit einem Fragezeichen versehen habe. Seien Sie unbesorgt: Ich habe durchaus nicht vor, Ihre wertvolle Zeit mit einer lautstarken Medienschelte zu verschwenden. Auch sind grosse, medientechnische Theorien nicht meine Sache. Viel lieber möchte ich Ihnen schildern, welche Erfahrungen ich persönlich mit Ihren Medien gemacht habe, seit ich nach dem Unfalltod meines Mannes im Jahre 2000 die Leitung der Müller-Möhl Group übernommen habe.
Natürlich wusste ich bei der Übernahme der Gesamtverantwortung für unsere Gruppe mit ihren Beteiligungen an mittleren und grösseren Unternehmen um die Wichtigkeit einer korrekten, auf Fairness und Offenheit beruhenden Beziehung zu den Medien. Ich hatte dies in meinem Studium gelernt und in meinen früheren beruflichen Tätigkeiten – übrigens auch auf der Seite der Medien – vertiefen können. Was ich aber doch wohl unterschätzt hatte, war, dass ich offenbar zahlreichen Klischées entspreche und dass solche Klischées von manchen Medienvertretern auch heute noch liebend gern bewahrt werden. Ich bin jung, weiblich, allein erziehende Mutter, blond … und überlasse es Ihnen, die Liste dieser Attribute weiterzuführen. Ganz offensichtlich fehlt manchem Journalisten und leider auch mancher Journalistin selbst in der heutigen Zeit schlicht das Vorstellungsvermögen, um nachvollziehen zu können, warum ich mich entschieden habe, das mir und meinem Sohn zugefallene Erbe nicht verwalten zu lassen, sondern selber unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Auch das illustriere ich gerne an einem Beispiel. Angesagt war der Besuch des Schweizer-Illustrierten-Jounalisten, der mit mir gerne wie mit anderen Vertretern der Wirtschaft ein Interview führen wollte. Ich habe mich sorgfältig auf diese Begegnung vorbereitet und war dann doch einigermassen überrascht, als der Journalist seine einleitende Frage formulierte: “Was machen Sie eigentlich in diesem Büro?” Meine Antwort, ich – wie andere auch – arbeite in meinem Büro, schien ihn nicht sonderlich aus dem Konzept zu bringen. Und so fragte er anschliessend, was für eine bezaubernde Uhr ich trage, wo meine Kleidung designt worden sei und so weiter. Erst auf meinen Einwand, ob er eigentlich solche Fragen auch den männlichen Repräsentanten aus der Wirtschaft stelle – so unter dem Motto: Herr Generaldirektor, wo kaufen Sie eigentlich Ihre Schuhe ?… – gelang es mir, den Journalisten und damit auch mich auf das eigentlich vereinbarte Thema zurückzuführen.
Ganz konnte es aber der gute Mann dann doch nicht lassen. Nachdem er eingesehen hatte, dass ich tatsächlich arbeite und versuche, zusammen mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen ernsthaften Beitrag zur Weiterentwicklung unserer Gruppe zu leisten – was uns übrigens in den anspruchsvollen beiden letzten Jahren recht gut gelungen ist – folgte dann doch noch die Frage, ob es mir nichts ausmache, meinen Sohn Elias dadurch zu vernachlässigen? Um nicht Gefahr zu laufen, an dieser Stelle zynisch zu werden, zitiere ich mich respektive meine damalige Antwort selber (das macht man doch so in der Wirtschaft …): “Ich habe mir die neue Lebenssituation nicht ausgewählt. Aber mit dem geerbten Vermögen nehme ich auch die Verantwortung für Elias wahr. Heute bin ich eine berufstätige, allein erziehende Mutter.”
Sie merken, die Gratwanderung meiner Präsenz in den Medien macht mir durchaus manchmal zu schaffen.Aber ich will fair sein. Nicht selten habe ich es auch mit Journalistinnen und Journalisten zu tun, die sich ernsthaft dafür interessieren, was die Müller-Möhl Group wirklich tut, welchen Beitrag sie zum Beispiel als grösste Aktionärin bei Ascom in der anspruchsvollen Turnaround-Situation leistet, in der sich dieses Traditionsunternehmen nicht zuletzt wegen Fehlleistungen früherer Verantwortungsträger befindet. Für solche Gespräche nehme ich mir nicht nur gerne Zeit, ich finde sie notwendig und durchaus bereichernd. Und ich bin mir sehr wohl dessen bewusst, dass ich diese Gratwanderung nur dann erfolgreich überstehen kann, wenn ich in den Medien Partner und nicht Feinde sehe.
Das ist allerdings manchmal einfacher gesagt als getan. Bis heute habe ich mich nicht daran gewöhnt, dass auch mein Privatleben für Journalistinnen und Journalisten zugänglich sein soll. Und ich bin mir ehrlich gesagt auch nicht sicher, ob ich mich daran gewöhnen möchte. Und damit sind wir mitten in jener Diskussion, die seit dem Fall Ringier/Borer hier zu Lande mit grosser Intensität, aber auch hie und da mit einer gewissen Verlogenheit geführt wird. Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich heute zur Verteidigerin von Ringier in dieser Sache aufzuspielen. Hier sind Grenzen überschritten worden, die einfach nicht überschritten werden dürfen.Aber ganz so eindimensional, wie diese Debatte zum Teil geführt wird, liegen die Dinge wohl doch nicht. Aus meiner Erfahrung sind es häufig jene Menschen, die sich um Aufmerksamkeit seitens der Medien bemühen, die sich dann besonders lautstark wehren, wenn sie für einmal von einem Journalisten nicht besonders pfleglich behandelt werden. Allerdings kennen einzelne Medien auch kaum mehr Grenzen, wenn es darum geht, ihre Bedürfnisse durchzusetzen. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Interviewfrage aus – zumindest subjektiv – guten Gründen abzulehnen, weiss, wovon ich spreche.
Ich bin dafür, dass man für sich selber ganz klar deklariert, wo man die Grenze gezogen haben will. Ich habe das beispielsweise getan, nachdem ich mit meinem Freund in einem Zürcher Lokal diniert hatte und dies dem Blick einen grösseren Artikel wert war. Nein, wir haben an diesem Abend wirklich nur gegessen und uns, soweit ich das beurteilen kann, recht manierlich und zurückhaltend verhalten. Ich habe meinen Unwillen über diesen Artikel den Verantwortlichen sehr eindeutig ausgedrückt – und seither esse ich eigentlich immer ohne anschliessende Medienberichterstattung.
Und doch: Die Gratwanderung ist noch längst nicht abgeschlossen, weder für mich noch für andere in vergleichbarer Lage. Noch immer habe ich fast täglich mit Vorurteilen zu kämpfen, welche Medien über mich verbreiten. Vorurteile, ich gebe das gerne zu, die mich zunehmend beschäftigen. Da ist einmal das Vorurteil Frau. Machen Sie sich nichts vor, meine Herren, dieses Vorurteil gegenüber berufstätigen Frauen in leitenden Positionen ist in Ihren Redaktionen noch immer stärker verankert, als Sie dies wahrhaben wollen. Übertroffen wird dieses Vorurteil nur noch durch jenes gegenüber allein erziehenden Müttern, die berufstätig sind, weil sie dies müssen oder – noch schlimmer – weil sie dies wollen. Erst wenn diese Vorurteile wirklich beseitigt sind, kommen wir auf gesichertes Gelände und sind nicht mehr absturzbedroht. Für mich, aber wohl auch für Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, bleibt die trostreiche Binsenwahrheit, dass nichts so alt ist wie die Schlagzeile von gestern. Dazu ein Beispiel. Kurz nach dem Tod meines Mannes hiess es in grossen Lettern “Bankiers-Witwe erbt 674 Millionen Franken”. Diese Summe bezog sich übrigens auf unseren angeblichen Besitz an Ascom-Aktien, was unter anderem mit Blick auf die heutigen Börsenkurse einmal mehr beweist, wie vergänglich solche Schlagzeilen und solche Summen gleichermassen sein können. Einige Wochen später las ich, “Müller-Möhl-Witwe musste Lebenswerk ihres Mannes aufgeben”. Das war genau zu jener Zeit, als ich mich mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern daran machte, das Geerbte auf eine sichere Basis zu stellen, Leverage-Positionen zurückzufahren und unseren unternehmerischen Einfluss auf die von uns gehaltene strategische Beteiligung auszubauen. Später war dann immerhin von der “tapferen Witwe” die Rede. Und vor einiger Zeit wurde mir bestätigt, dass ich täglich in mein Büro am Weinplatz gehe und meinen Blick über das Grossmünster, die Limmat bis zu den Glarner Alpen schweifen lasse. Der Umgang mit Fakten ist und bleibt für manche Medien schwierig. So schwankte mein Alter – um ein letztes, nicht besonders schwergewichtiges Beispiel zu nennen – bei den Veröffentlichungen über mich in den letzten Monaten zwischen 28 und 35 Jahren. Wir könne uns heute ja darauf einigen, dass wir für die nächsten Jahre bei 28 bleiben.
Dass Sie, meine Damen und Herren, mich eingeladen haben, den heutigen Tag mit Ihnen zu verbringen, nehme ich als gutes Zeichen dafür, bei meiner Gratwanderung in und mit den Medien irgendwann wenigstens ein Etappenziel zu erreichen. Ich danke Ihnen.
© Persönlich; Oktober 2002; Seite 60
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