Meine Meinung: Dringend gesucht – Gutmensch
Ob an einem Abendessen, an einer Veranstaltung oder im Kreise von Freunden, früher oder später kommt in diesen Tagen die Diskussion immer auf die Flüchtlingskrise. Wenn dann die die Emotionen hoch gehen, höre ich oft ideologisch gefärbte Aussagen, die ein äusserst bedrohliches Szenario für die Schweiz zeichnen.
Diejenigen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass aus den Krisengebieten im Nahen Osten und Afrika auch künftig Flüchtlinge nach Europa kommen werden, diffamieren die Engagierten der zahlreichen Bürgerinitiativen gerne als «Gutmenschen». Was für ein Paradox! Denn bitte schön was ist
falsch daran, einen ganz persönlichen Beitrag für Menschen in Not zu leisten?
Hinter dem verächtlich gemeinten Begriff «Gutmensch» steht das Konzept der Philanthropie. Das aus dem Altgriechisch stammende Wort bedeutet Menschenliebe.
Es ist dieses Verständnis von Philanthropie, dass mich dazu motiviert hat, eine Stiftung zu gründen.
Viele Bekannte und wohlhabende Menschen wie Melinda Gates oder Roger Federer engagieren sich philanthropisch. Um ein Philanthrop zu sein, muss man aber weder bekannt noch reich sein. Jede und jeder kann aus Menschenliebe tätig werden – auch ohne Geld.
Denn es braucht auch innovative Geister, wie beispielsweise die Gründer der Kiron-Online-Universität in Berlin, die akademische Ausbildungen für Flüchtlinge anbietet. Kostenlos. Wer zwei Jahre erfolgreich die Prüfungen im Netz absolviert hat, kann anschliessend an einer Partneruniversität weiter studieren und einen Abschluss machen.
Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche Bürgerinitiativen. Unter der Adresse „wegeleben.ch“ kann man sich beispielsweise melden, wenn in einer Wohngemeinschaft ein Platz für einen Flüchtling frei ist. «Gmeinsam Z’nacht» gibt uns allen die Möglichkeit, einen Flüchtling zum Abendessen einzuladen. Sitzt man gemeinsam am Tisch, wird aus einem anonymen Vertriebenen, dessen Schicksal uns vielleicht kalt lässt, ein Mensch mit einem Namen und einer Geschichte. Der Effekt ist der gleiche wie ihn vor vielen Jahren der Schriftsteller Max Frisch angesichts der Gastarbeiter in der Schweiz beschrieben hatte. «Wir haben Arbeitskräfte gerufen und es kamen Menschen.»
Bürgersinn und das Wissen, dass eine Gemeinschaft nur dann funktioniert, wenn sich Menschen aktiv daran beteiligen, gehören zur DNA unseres Landes. Egal ob sich jemand für die Schonung der Umwelt, die Förderung des Standortes Schweiz oder die Nachbarschaftshilfe stark macht, die Anliegen sind stets individuell. Genauso wie die Mittel, mit denen wir uns für ein Thema einsetzen, das uns am Herzen liegt. Wo wenig Geld vorhanden ist, können auch Zeit, das eigene Wissen und Netzwerk den Unterschied ausmachen.
Gerade in der Vorweihnachtszeit wo wir an allen Ecken zum Konsum verführt werden, dürfen Appelle für ein Miteinander und die Nächstenliebe nicht fehlen.
Was uns die Flüchtlingsströme und das Ringen nach Lösungen der letzten Monate hingegen auch deutlich machen ist eines: die tollen Bürgerinitiativen vermögen es alleine natürlich nicht die grossen Herausforderungen der europäischen Migrationspolitik zu lösen. Die Staaten mit ihren Volksvertretern sind gefragt. Und somit auch wir, als verantwortungsbewusste Bürger einer direkten Demokratie. Mischen Sie sich ein, wählen Sie Volksvertreter, die Lösungen zu bieten haben und diskutieren Sie diese Themen während den Festtagen nicht nur bei Gänsebraten und einem Glas Wein im Kreise des vertrauten Umfelds, sondern auch über Parteigrenzen hinweg.
Erschienen in der Dezember-Ausgabe der annabelle.