Mogelpackung mit Nebenwirkungen
Unternehmerin Carolina Müller-Möhl über die Familieninitiative
Politiker entpuppen sich immer mal wieder als wahre Verpackungskünstler. Und sie haben damit Erfolg. Wer konnte schon dagegen sein, «der Abzockerei» einen Riegel zu schieben, und wer würde sich einer «Familieninitiative» verweigern, die doch nur die zu Hause erziehenden Mütter unterstützen möchte? Warum also wehren sich das Parlament, der Bundesrat, Männer- und Frauenorganisationen, warum wehren sich – mit Ausnahme der federführenden SVP – auch alle Parteien dagegen? Ganz einfach: Weil in der Verpackung eben nicht drin ist, was drauf steht.
Das allerdings ist vielen Stimmbürgern und -bürgerinnen offenbar nicht aufgefallen. Wieso auch. Wer möchte denn Steuergeschenke ablehnen, die scheinbar «den Familien» zugute kommen? Ablehnen sollten die Initiative alle geschiedenen Mütter und Väter (oder solche, die es noch vor sich haben), ablehnen sollten sie zudem alle Familien, in denen beide Elternteile erwerbstätig sein müssen, weil man sonst nicht über die Runden kommt. Und ablehnen sollten sie alle Familien, die ihre Kinder ergänzend zur Familie ausserhalb fördern und betreuen lassen wollen. Alle zusammen machen einen Grossteil der Familien von heute aus. Nur gerade 29 Prozent der Familien mit Kindern unter 7 Jahren leben das traditionelle Modell der Paarbeziehung – Mann verdient das Geld, Frau kümmert sich um die Kinder. Nur eine Minderheit kann sich diese Familienversion überhaupt leisten. Nämlich nur diejenigen Familien, in denen der Mann so viel verdient, dass es für ein komfortables Leben einer ganzen Familie reicht. Mit der Familieninitiative würden wir alle die Umverteilung von den weniger Begüterten an die Wohlhabenden mitfinanzieren. Sie wird den Staat 1,4 Milliarden Franken kosten.
Aber hinter dem Vorstoss der Traditionalisten steckt noch mehr: Die Initiative suggeriert, dass das Modell des Alleinverdienenden für alle erstrebenswert und die einzig gesellschaftlich akzeptierte Form des familiären Zusammenlebens sei. Dass dies bei einer Scheidungsrate von rund 50 Prozent und den vielen Patchwork-Familien ein frommer Wunsch ist, versteht sich von selbst.
Wird die SVP-Initiative angenommen, werden jene benachteiligt, die frei ihre Familienform wählen wollen. Und wir gehen wieder einen Schritt zurück in der Entwicklung, die den Menschen, insbesondere aber den Frauen, die Freiheit gegeben hat, Kinder aufzuziehen und gleichzeitig auch im Beruf Erfüllung zu finden. Diese Freiheit möchten die meisten heute nutzen. So sind 60 Prozent der Frauen in der Schweiz berufstätig. Dass die SVP teuer und gut ausgebildete Frauen wieder an den Herd zurückbringen will, ist darum brisant, weil diese Frauen viele Stellen besetzen könnten, für welche die Schweizer Wirtschaft ansonsten auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Wie war das noch mit der Initiative der SVP für einen Zuwanderungsstopp? Kein Wort verlieren die Initianten auch darüber, wie in der Praxis überprüft werden soll, wer seine Kinder wirklich «selber betreut».
Kurz: Die Initiative ist rückwärts gewandt und huldigt einem Familienideal, das für viele keines ist und sein kann, sie bevorteilt die Reichen und kreiert «Staatsmütter», die vom Gemeinwesen subventioniert werden.
Ich lehne sie aber vor allem darum ab, weil ich überzeugt bin, dass in einer zukunftsgerichteten, erfolgreichen Schweiz gut ausgebildete Frauen eine der kostbarsten Ressourcen sind, die dieses Land unbedingt nutzen sollte. Wir können es uns schlicht nicht leisten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch zusätzlich zu erschweren und diejenigen zu belohnen, die es am wenigsten nötig haben.