Gender Diversity

Positiver Fingerzeig

Frauen müssen mehr Verantwortung übernehmen und nicht vorschnell ‹Nein› sagen, wenn sie Chancen der Mitwirkung nutzen können. Vor allem weibliche Führungskräfte dürfen sich nicht scheuen, auf allen Ebenen mitzuwirken, unternehmerisch – und auch gemeinnützig, fordert Carolina Müller-Möhl.

Jüngst wurde mir eine grosse Ehre zuteil. Am diesjährigen Swiss Economic Forum, durfte ich die Laudatio bei der ersten Ehrenpreisverleihung des SEF.WomenAwards halten. Meine Worte galten: Rosmarie Michel – ein Vorbild für uns Frauen. Die 90-jährige Schweizer Unternehmerin und ehrenamtlich engagierte Bürgerin wusste bereits in den 50er Jahren, wie sich eine Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft durchsetzt: mit Kompetenz, Tatkraft und Raffinesse. Immer wieder sah sie die ihr gebotenen Chancen und nahm sie wahr. Denn Rosmarie Michel war sich früh bewusst, dass Frauen die gleichen Rechte nur dann bekommen, wenn sie an Terrain gewinnen. Sie selbst gewann über die Jahrzehnte ganz ordentlich an Terrain: als erste Frau im Verwaltungsrat zahlreicher Unternehmen, als Unternehmerin mit Familienbetrieb, als Managerin von vielen Mitarbeitenden und als Mandatsträgerin verschiedener weiterer Organisationen und Stiftungen. Eine starke Eigenleistung. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Rosmarie Michel auf meine Laudatio eine Replik parat hatte. Anstatt die Fragen der Moderatorin zu beantworten, packte sie sich das Mikrofon und formulierte einen Appell an die über 1350 Wirtschaftsleader im Raum beziehungsweise an die leider nur 1/5 Teilnehmerinnen des Forums. Zusammengefasst: In der Schweiz werden Frauen gefördert. Unternehmerisch heisst das: eine Investition. Und wir Frauen müssen diese Investition mehr und mehr zurückgeben. Wir dürfen nicht vorschnell Nein sagen, wenn wir Chancen der Mitwirkung nutzen können. Frauen müssen mehr Verantwortung übernehmen. Frauen sind nicht nur fähig, sondern Frauen müssen zeigen, dass sie es sind. Vor allem weibliche Führungskräfte dürfen sich nicht scheuen, auf allen Ebenen mitzuwirken, unternehmerisch, aber auch gemeinnützig.

Ich stimme mit Frau Michel in allen Punkten überein und habe dies an dieser Stelle, d.h. als Ihre Kolumnistin, auch schon sehr häufig kundgetan. Nur genützt hat es nicht so viel. Nach wie vor hat Frau Michel nicht allzu viele Nachahmerinnen. Die Schweizerinnen muten sich eine Karriere in der Wirtschaft leider noch zu wenig zu. Und auch das gemeinnützige Engagement lässt noch zu wünschen übrig. Es werden händeringend Mitarbeiterinnen gesucht. Die personelle Situation in unserem Milizsystem ist sehr angespannt. Und das ist nicht gut, denn das Milizsystem ist ein äusserst wichtiger Pfeiler der Schweizer Identität und Bestandteil unseres erfolgreichen gesellschaftlichen Models à la Suisse. Gerade bei der politischen Mitwirkung auf lokaler Ebene liegt ein grosses Betätigungsfeld für Frauen offen. Gemeinderäte in der Schweiz sind unterbesetzt, mehrheitlich männlich und betagt. Im Kanton Zürich z.B. sind es 72 Prozent Männer und in zwölf Gemeinderäten wirkt keine einzige Frau mit. Also wieso sich nicht für ein Ehrenamt interessieren und bewerben? Warum nicht seine Kompetenzen einbringen, zeitgleich dazulernen und am Ende das Glücksgefühl geniessen, etwas Gutes für die Allgemeinheit und für die eigene Lebenszufriedenheit geleistet zu haben? Rosmarie Michel hat den Frauen am SEF einen Fingerzeig mit auf den Weg gegeben. Und dieser war weniger ein mahnender, sondern ein Fingerzeig in die richtige Richtung, in eine positive Zukunft: Engagiert Euch. Bleibt dran. Frauen, nutzt die Chancen.


Die Kolumne ist am 8.11.2021 in der

Women in Business

erschienen.