TED, die Mutter aller Konferenzen
Kolumne von Carolina Müller-Möhl
Im Zeitalter der digitalen Social-Media-Gesellschaft ist es ein schon beinahe exotisches Unterfangen, eine Kolumne auf gedrucktem Papier zu schreiben. Das Geschriebene geht nicht in Minuten online und wird von der «Digital Community» nicht sofort kommentiert. Ist das auf Papier erschienene Thema genügend emotional und polarisierend, müssten die geneigten Leserinnen und Leser einen dieser altmodischen «Leserbriefe» schreiben, der dann vielleicht in der nächsten Ausgabe abgedruckt wird. Möglicherweise lesen Sie diese Zeilen aber gerade auf der digitalen Ausgabe dieser Publikation. Dann gehören Sie schon zu der schnell wachsenden digitalen Weltgemeinschaft.
Die Pioniere und permanenten Antreiber dieser modernen mobilen Gesellschaft sitzen an der Westküste der USA im Silicon Valley. Ob Google, Facebook, Apple oder Tesla, alle haben sich in Kalifornien versammelt, um die neue Welt jeden Tag neu zu erfmden – und damit gutes Geld zu verdienen. Nirgends gehen neue Technologien, Unterhaltung und Design eine so intensive Beziehung ein wie an der Küste zwischen Seattle und San Diego. Auf Neudeutsch heisst diese fruchtbare Vereinigung kurz TED: Technology, Entertainment und Design.
Die Promotoren von TED veranstalteten ursprünglich eine Innovationskonferenz in Monterey. Und sie setzten klare Regeln: Intelligente Köpfe aus allen Bereichen der Gesellschaft sollten in 18 Minuten eine bahnbrechende, optimistische und berührende Idee vortragen. Etwas, was die Amerikaner besonders mögen und ihnen schon in der Schule beigebracht wird.
Inzwischen ist TED ein Unterhaltungskonzern geworden, der rhetorisch brillante Gesamtkunstwerke von bekannten Köpfen mit der Technologie des 21. Jahrhunderts weltweit verbreitet. Die populärsten Reden und Themen werden online gestellt und erfreuen sich wachsender Fangemeinde auch in unseren Breitengraden. Das Motto «Ideas Worth Spreading» funktioniert hervorragend. Seit zwei Jahren bin ich in der glücklichen Lage, an diesen sehr inspirierenden Konferenzen teilzunehmen. Zuletzt diesen März im kanadischen Vancouver. Die grösste Aufmerksamkeit erhielt eine Frau, deren Name für immer verbunden sein wird mit der Beinahe-Amtsenthebung des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1998.
Als Monica Lewinsky auf die Bühne trat, fragte ich mich, was ausgerechnet sie diesem illustren Kreis von Wirtschaftsführern, Autoren, Philosophen oder Start-up-Gründern zu erzählen hatte. Nach wenigen Minuten war der Saal von ihrer Geschichte über den «Preis der Scham» in ihren Bann gezogen. Lewinsky war das erste Opfer einer weltweiten Erniedrigungskampagne, die sich rasend schnell im Internet verbreitete. Sie selber nennt sich Patient 0. Viele sollten folgen.
Das Internet ist der Tummelplatz von Milliarden von Paparazzi, die in der Privatsphäre von bekannten und unbekannten Menschen schnüffeln, um sie öffentlich blosszustellen. Unzensiert, unkontrolliert. Es entsteht eine «Kultur der Erniedrigung », in der es selbstverständlich wird, Intimes und Privates auf dem Marktplatz der Frustrierten und Schlüsselloch-Gucker zu verkaufen. Denn umso mehr Clicks, umso mehr Werbung, umso mehr Geld. Wie sehr Lewinskys Resümee nach 17 Jahren interessiert, zeigen die über drei Millionen «Viewers», die sich seit März ihren Auftritt angesehen haben.
Aber das Internet ist auch eine riesige Universität und ein globales Weiterbildungsinstitut. Das wurde mir im Gespräch mit Peter Diamandis, der sich mit der von ihm gegründeten Singularity Universität Technologie für die Beantwortung essenzieller Fragen der Menschheit einsetzen will, oder in der Diskussion mit Sebastian Thrun klar. Der deutsche Informatiker baute das Forschungslabor Google X auf, aus dem Erfindungen wie das selbstfahrende Auto oder die Datenbrille Google Glass stammen. Heute nutzt er die Vorteile der virtuellen Welt für die von ihm mitgegründete Akademie Udacity.
Die Kraft des Netzes zu verstehen und richtig zu nutzen, ist eine der wichtigsten Bildungsaufgaben, die wir bisher viel zu zögerlich angepackt haben. Papier ist geduldig, sagt man. Das Netz dagegen verzeiht nichts und vergisst nichts. Das lernt die Generation unserer Kinder gerade. In Zukunft müssen wir sie aber besser darauf vorbereiten. Damit sich Empathie durchsetzt gegen eine Kultur der Erniedrigung.