Bildung

Wirkt Schuldenprävention?


Ausgangslage und Fragestellungen


Schuldenprävention wird immer wichtiger. Aber wirkt sie auch? Akteure aus der Jugendpolitik, der Schuldenprävention und dem Stiftungswesen haben die Hochschule Luzern beauftragt, die Wirksamkeit von Schuldenprävention zu untersuchen. Die Studie „Wirkt Schuldenprävention?“ gibt einen Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse. Sie soll direkt für die Planung von Interventionen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt werden.

Der Grossteil der Jugendlichen kann verantwortungsbewusst mit Geld umgehen, und die Mehr¬zahl der jungen Erwachsenen schafft den Schritt in die soziale und finanzielle Selbstständigkeit ebenfalls ohne grössere Probleme. Eine Minderheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aber verschuldet sich in dieser Entwicklungsphase – oft mit weitreichenden und langjährigen Folgen für die eigene berufliche und persönliche Entwicklung und für die weitere Lebensgestaltung.

Zunehmend beschäftigen sich Fachpersonen im Bereich der Schuldenberatung deshalb auch mit Fragen der Prävention. In der Schweiz gibt es zwar erst wenige spezialisierte Fachstellen für Schuldenprävention, es sind aber neue am Entstehen und in Planung. Für alle stellt sich die Frage, wie Angebote in der Schuldenprävention konzipiert, gestaltet und durchgeführt werden können, damit sie mit den vorhandenen Mitteln die grösstmögliche Wirkung und den besten Nutzen erzielen. Anders als in bereits länger bestehenden Feldern der Prävention – wie z.B. in der Sucht-, Unfall- oder Gewaltprävention – besteht für die Schuldenprävention noch wenig gesichertes Wissen über wirksame Konzepte und Methoden. Die Schuldenberatung Aargau-Solothurn (mit finanzieller Unterstützung von Swisslos Kanton Aargau), Plusminus, Budget- und Schuldenberatung Basel (mit finanzieller Unterstützung der Christoph Merian Stiftung), die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen EKKJ und die Müller-Möhl Foun-dation haben deshalb gemeinsam eine Studie in Auftrag gegeben, die bestehende Wissens¬grundlagen sammeln, aufarbeiten und für die Praxis nutzbar machen soll. Dr. Claudia Meier Magistretti vom Kompetenzzentrum Prävention und Gesundheit der Hochschule Luzern wur¬de mit der Konzeption und Durchführung eines Berichts zur Schuldenprävention betraut. Dieser fasst Ergebnisse aus der Wirksamkeitsforschung zur Schuldenprävention bei Jugendli¬chen und jungen Erwachsenen in der wissenschaftlichen Literatur aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum zusammen und fokussiert Fragestellungen in drei Themenbereichen:

  • Wirksamkeit von universeller Schuldenprävention
  • Financial Literacy
  • Good Practice in der Schuldenprävention

In Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Expertinnen- und Experten aus der Praxis der Schuldenberatung und Schuldenprävention wurden die Ergebnisse verarbeitet und konkrete Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Schuldenprävention formuliert.


Ergebnisse


Die Ergebnisse der Literaturstudie zeigen, dass die internationale Forschung zum Thema wenig theoriegeleitet und in vielen Bereichen noch in den Anfängen ist. Dennoch lassen sich Aussagen zu sinnvollen Ansatzpunkten in der schuldenpräventiven Praxis formulieren. Zur Bestimmung von Ziel- und Risikogruppen sind soziodemografische Faktoren zentral. Hier zeigt sich, dass vor allem junge Erwachsene ab 18 Jahren mit niedriger Schulbildung, fehlen dem Berufsabschluss und tiefem Einkommen ein erhöhtes Risiko aufweisen, in Überschuldung zu geraten. Männer sind dabei nur unwesentlich häufiger betroffen als junge Frauen. Arbeitslosigkeit, eine Herkunftsfamilie mit tiefem sozioökonomischem Status und Verschuldung der Eltern vergrössern das Überschuldungsrisiko zusätzlich. Jüngere Jugendliche sind im Vergleich dazu weniger häufig und weniger hoch verschuldet. Eine Ausnahme bilden Jugendliche, die das Elternhaus vor dem 18. Lebensjahr verlassen oder bereits als Teenager eigene Kinder haben.

Wissenschaftliche Nachweise auf wirksame Interventionsbereiche liegen zu verschiedenen psychologischen Faktoren vor, die sowohl in der universellen als auch in der selektiven Prävention adressierbar sind. Die psychologischen Wirkfaktoren umfassen Einflüsse auf der Ebene des Individuums, des Elternhauses und des weiteren sozialen Umfelds.

Auf einer individualpsychologischen Ebene sind Selbstvertrauen, die Fähigkeit zu Belohnungsaufschub, Selbstkontrolle und eine starke finanzbezogene Selbstwirksamkeitserwartung wichtige Schutzfaktoren. Daneben erweisen sich Werte und Normen als zentral handlungsleitend: während eine konsumorientierte Einstellung (oft bereits durch das Elternhaus vermittelt) vor allem in Verbindung mit mangelndem Selbstwertgefühl, hoher Beeinflussbarkeit und gleich-zeitig engen Bindungen zu Gleichaltrigen in ebenfalls konsumorientierten Gruppen ein Überschuldungsrisiko begünstigen, wirken eine reflektierte und verantwortungsbewusste Einstellung zu Geld und Konsum, vor allem in Verbindung mit guter elterlicher Unterstützung und einem positiven Selbstwertgefühl, protektiv. Konsumhaltungen und Konsumverhalten können sich allerdings auch verändern. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene, welche einen Statusverlust erlitten haben, können dazu neigen, diesen mit übermässigem Konsum auszugleichen.

Financial Literacy verstanden als Finanzwissen und finanzielle Bildung hat keinen direkten Einfluss auf Ver- oder Überschuldungsrisiken. Aufgrund von indirekten Zusammenhängen lässt sich lediglich festhalten, dass Financial Literacy zwar ein in vielen Bereichen und bei bestimmten Zielgruppen notwendiger, aber kein hinreichender Wirkfaktor in der Schuldenprävention ist. Ein gutes Finanzwissen wirkt erst dann schuldenpräventiv, wenn die Einstellung zu Geld und Konsum positiv beeinflusst werden kann. Diese Einschätzung wird gestützt durch Studien die zeigen, dass eine geringe finanzielle Bildung allein nicht zur Überschuldung führt, wohl aber dann das Überschuldungsrisiko erhöht, wenn sie in Verbindung mit einer schlechten Selbstkontrolle auftritt.

Kritische Lebensereignisse können Verschuldungsprozesse initiieren. Dokumentiert sind Arbeitslosigkeit, Krankheit und frühe Elternschaft. In qualitativen Studien wird zudem beschrieben, dass bei jungen überschuldeten Erwachsenen häufig auch der Verlust eines Elternteils im Jugendalter, Cannabis- und Haschischabhängigkeit sowie Lehrabbrüche oder gescheiterte Lehrabschlüsse Auslöser für Verschuldungsprozesse sein können. Eine (zu) frühe Ablösung vom Elternhaus steht bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ebenfalls am Anfang eines Überschuldungsprozesses. Bei jungen Frauen kommen oft emotionale Abhängigkeitsbeziehungen zu (manchmal bereits verschuldeten oder betrügerisch handelnden) Partnern dazu. Kritische Lebensereignisse können durch präventive Massnahmen nicht verhindert werden. Aus den genannten Studien ergeben sich aber Hinweise auf Einflussfaktoren, die bereits aus anderen Präventionsfeldern als wirkungsrelevant bekannt sind (Resilienzfaktoren).

Zur Frage nach Beispielen guter Praxis liegen selbst im internationalen Kontext für Programme der Schuldenprävention noch wenige Evaluationen vor. Befunde zur langfristigen Wirksamkeit konnten im Rahmen der hier durchgeführten Recherche keine gefunden werden: Der längste Untersuchungszeitraum erstreckte sich über drei Monate. Daher können keine Programme empfohlen werden, welche die Schuldenprävention in der Schweiz einfach aufgreifen und multiplizieren könnte. Dennoch kann von bestehenden Programmen zumindest methodisch gelernt und in jedem Fall sollten künftige Programme systematisch evaluiert werden. Wie das geschehen kann, zeigt ein Kapitel zu einem Wirkungsmodell, das ermöglicht, die Ergebnisse des vorliegenden Berichts direkt für die Evaluation und Wirksamkeitsbeurteilung und Wirksamkeitseinschätzung von Interventionen zu nutzen.


Forschungslücken


Studien weisen darauf hin, dass ein weiteres Verschuldungsrisiko in der leichten Verfügbarkeit von Krediten und Kreditkarten, in der Verharmlosung von Kreditwerbung und dem Vorherrschen einer Kultur des „Alles sofort haben-Könnens“ bestehen könnte. Noch liegen aber keine Studien vor, die den Einfluss von Steuer- und Versicherungssystemen auf die Überschuldung junger Erwachsener vergleichend darstellen. Insgesamt fehlen bisher wissenschaftliche Grundlagen, welche die spezifische Wirksamkeit von gesetzlichen Massnahmen oder anderen struktur- und settingorientierten Interventionen in der Schuldenprävention beschreiben.


Schlussfolgerungen für die schuldenpräventive Praxis


Fachpersonen aus der Schuldenberatung, der Schuldenprävention, der Wirtschaft, dem Konsumentenschutz, kantonalen Behörden, der Jugendarbeit und dem Jugendschutz sowie aus weiteren themenrelevanten Arbeitsgebieten diskutierten die Ergebnisse und formulierten Schlussfolgerungen und Empfehlungen. Diese umfassen unter anderem die Enttabuisierung von Schulden und privatem Geld, die Fokussierung der präventiven Arbeit auf Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (z.B. Eltern, Jugendarbeitende, Berufsschulen), eine bessere Information der Eltern und einen Ausbau der Ressourcen für Schuldenprävention.